Fürsorge als Stärke
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Fürsorge als Stärke

Warum Zuhören zunehmend Teil moderner Unternehmenskultur wird

von Karoline Giokas
Freitag, 07.11.2025
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Die Hotellerie und die Gastronomie leben von Begegnungen und vom täglichen Kontakt mit Menschen. Genau das macht die Arbeit in dieser Branche so besonders. Doch dort, wo der Gast stets im Mittelpunkt steht, geraten die eigenen Mitarbeiter mit ihren Nöten oft ins Hintertreffen. Immer mehr Betriebe erkennen daher: Zur Gesundheitsprävention gehört nicht nur körperliche Fitness, sondern auch seelische Stabilität. Seelsorger wie Rainer Schwarz schaffen Räume, in denen Mitarbeiter frei sprechen können – vertraulich, niedrigschwellig und ohne Stigmatisierung. Ein Baustein, der zunehmend Teil moderner Gesundheitskonzepte wird.

„Ich bin kein Therapeut. Ich höre zu“

Wenn Rainer Schwarz ein Hotel betritt, bringt er keine Rezepte mit, sondern ein offenes Ohr für Sorgen. „Seelsorge bedeutet für mich, dem Menschen die Chance zu geben, sich zu öffnen – über das, was ihn im Innersten bewegt.“ Dabei grenzt er seine Rolle klar von Coaching oder Psychotherapie ab: „Ich stelle keine Diagnosen, ich höre zu. Allein das kann schon entlastend sein.“

Seine Arbeit ist konfessionsunabhängig und neutral. Viele Mitarbeiter sind dankbar, dass sie ihre Themen in einem geschützten Rahmen ansprechen können, ohne Angst vor Bewertung oder Konsequenzen.

Rainer Schwarz
Seelsorge ist kein Luxus, sondern ein Stück gelebte Fürsorge – und sie wirkt manchmal länger nach als jede Bonuszahlung. Rainer Schwarz; Foto: privat

Von der Ausnahme zur festen Institution

Früher war Seelsorge in Unternehmen ein Exotenthema, oft nur im Zusammenhang mit Todesfällen. Heute sieht das anders aus: Immer mehr Hotels buchen Schwarz regelmäßig. Mal für einen Tag im Quartal, mal einmal im Monat. Mitarbeiter können sich anonym für Gespräche eintragen. „Es reicht oft, dass ein Unternehmen signalisiert: Wir nehmen eure Sorgen ernst. Das schafft Vertrauen und wirkt ins ganze Team“, erklärt er.

Die Themen, die dann zur Sprache kommen, sind sehr vielfältig: private Krisen, Trauerfälle, Konflikte mit Vorgesetzten, Belastungen durch Gäste. „Manchmal sind bereits einige wenige Fragen ausreichend, um die eigentliche Ursache sichtbar zu machen“, sagt Schwarz. So begleitete er eine Mitarbeiterin, die nach einer Frühgeburt die Ereignisse nicht verarbeitet hatte. Sie fiel deshalb immer wieder krank aus. Im Gespräch wurde klar, was zu den Fehlzeiten führte.

Im Moment, in dem jemand seine Sorgen ausspricht, rückt 
meist der Lösungsfokus wieder in den 
Vordergrund  

Rainer Schwarz

Generationenwechsel und Pandemie als Treiber

Dass das Thema Seelsorge heute so präsent ist, hat mehrere Gründe. Zum einen fordern jüngere Generationen mehr Offenheit im Umgang mit psychischen Belastungen. „Früher wollte niemand den Stempel ‚psychisch labil‘ tragen. Heute gilt es als Stärke, Hilfe anzunehmen“, beobachtet Schwarz.

Zum anderen hat die Corona-Pandemie vieles verändert. Isolation, Existenzsorgen und der Wegfall gewohnter Strukturen führten dazu, dass seelische Gesundheit erstmals massenhaft öffentlich diskutiert wurde. „Seit Corona wissen viele Menschen: Ich bin nicht nur meine Arbeit. Ich habe auch sonst Bedürfnisse, die gesehen werden wollen“, so Schwarz.

Steigende Burnout-Zahlen, die Zunahme psychischer Erkrankungen
Steigende Burnout-Zahlen, die Zunahme psychischer Erkrankungen: Immer mehr Betriebe in der Hospitality rücken die seelische Gesundheitsprävention ihrer Mitarbeiter in den Fokus. Foto: halfpoint/stock.adobe.com

Wie wird man Seelsorger?

Seelsorge ist kein geschützter Beruf, aber eine verantwortungsvolle Tätigkeit. Viele Seelsorger kommen aus theologischen oder sozialen Berufen, andere finden über persönliche Berufung und Weiterbildungen hinein. Rainer Schwarz etwa absolvierte eine eineinhalbjährige Ausbildung zum begleitenden Seelsorger, ergänzt durch Weiterbildungen in Wirtschaftsmediation und systemischer Beratung.

Entscheidend sind Empathie, Verschwiegenheit und die Fähigkeit, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Wichtig: Seelsorger ersetzen keine Psychotherapie. Sie hören zu, begleiten und eröffnen neue Sichtweisen – dort, wo Gespräche allein schon Entlastung schaffen können.

Vom Fitnesskurs zur Seelenhygiene

Während betriebliches Gesundheitsmanagement lange auf Rückenschulen oder Fitnessprogramme setzte, rückt nun die psychische Dimension seit geraumer Zeit stärker in den Vordergrund. Hotels, die frühzeitig auf Seelsorge setzen, berichten von spürbaren Effekten, die sich in weniger Krankmeldungen, einem entspannteren Miteinander und einer höheren Mitarbeiterbindung zeigen.

„Natürlich lassen sich seelische Prozesse schwer in Kennzahlen gießen. Doch wenn Mitarbeiter nach einem Gespräch sagen: ‚Das hat mir unglaublich geholfen‘, ist das schon Erfolg genug“, betont Schwarz. In vielen Teams entwickelt sich  eine neue Gesprächskultur mit weniger Missverständnissen und mehr Empathie.

Führungskräfte müssen mitziehen

Damit Veränderungen im Betrieb wirken, braucht es die Unterstützung der Unternehmensspitze. „Es reicht nicht, wenn ich mit Mitarbeitern spreche und die Geschäftsführung nicht reagiert. Auch Führungskräfte müssen bereit sein, sich selbst zu hinterfragen“, sagt Schwarz. Oft gehe es darum, Kommunikationsmuster zu reflektieren und einfühlender zu agieren. Für viele Hoteliers sei das eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit: Wer Mitarbeitern Fürsorge bietet, hat im Kampf um Fachkräfte deutlich die Nase vorn.

„In zehn Jahren Standard“

Rainer Schwarz ist überzeugt, dass Seelsorge in der Hotellerie noch an Bedeutung gewinnen wird: „Wir stehen erst am Anfang. In zehn Jahren wird es in vielen Hotels so selbstverständlich sein, über seelische Belastungen zu sprechen, wie heute über Arbeitssicherheit.“ Angesichts steigender Burnout-Zahlen und der Zunahme psychischer Erkrankungen sei es nur logisch, dass Betriebe neue Wege gehen.                      
    

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