Kochen hinter Schloss und Riegel
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Kochen hinter Schloss und Riegel

von Sebastian Bütow
Sonntag, 02.09.2018
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Doch nein, hier gibt’s keine moderne Kunst zu bestaunen, wie es solch ein Gebäude normalerweise vermuten lassen würde. Hinter diesen imposant gestalteten Frontgemäuern (2016 ausgezeichnet mit dem Deutschen Fassadenpreis) verbergen sich Schicksal, Schuld und Strafe. Bis zu 900 Männern wird in dem 105 Millionen Euro teuren Bau ihre Freiheit entzogen, weil sie Verbrechen begangen haben und verurteilt wurden. Übrigens musste auch der eine oder andere Promi bereits seine Luxusvilla gegen eine der knapp zehn Quadratmeter kleinen Zellen im beschaulichen Gablingen eintauschen.

Türen öffnen in Endlosschleife

»Määäääp.« Am Haupteingang öffnet sich elektrisch und äußerst langsam eine stahlumrahmte Glastür mit kolossal dicker Scheibe. Bis der Bereich der Gefängnisküche erreicht sein wird, werden noch Dutzende Male sicherheitsträchtige Tore und Türen geöffnet – und sorgsam wieder geschlossen. Und zwar von Thomas Drohner, 43, »wie die männliche Biene, nur mit R«, dem Küchenchef der JVA Augsburg-Gablingen. Der kräftig-gemütliche, freundliche Mann mit der eins a gepflegten Rockabilly-Frisur und aerodynamisch am Unterkiefer entlanggetrimmten Koteletten wedelt auf dem Weg zur Gefängnisküche ununterbrochen mit seinem Hightech-Schlüsselbund. Nach der Tür ist vor der Tür.

Nach einem Türen-Marathon geht’s in den »Grünen Bereich«

Nach einer guten Viertelstunde und etlichen »Määäääps« erreichen wir sein Küchen-Reich, das im »Grünen Bereich« liegt, dieses Areal ist mit einem frisch-modernen Hellgrün gestrichen, kombiniert mit Weiß. Warum grün? »Gemüse, gesund – das passt!«, sagt Zoraida Maldonado de Landauer, die Direktorin von Bayerns modernstem Gefängnis, das als Nachfolger des in die Jahre gekommenen Augsburger Gefängnisses 2015 eingeweiht wurde.

989 Quadratmeter Küche

Diese etwas andere Küche ist vor allem: groß. 989 Quadratmeter! Gefühlt kann es diese Giga-Küche locker mit einem halben Fußballfeld aufnehmen. So manchem die Enge seiner Arbeitsumgebung verfluchenden Kochprofi würde bei diesem Anblick das Herz aufgehen.

»Viele Küchen haben das Problem ganz enger Verhältnisse, hier ist richtig Platz. Auch weil es ein Neubau ist. Übersichtlich und leicht kontrollierbar, so muss eine Gefängnisküche sein«, sagt der stets unaufgeregte und souveräne Thomas Drohner in seinem Bürobereich, der ihm, durch Glasscheiben getrennt, eine Panorama-Ansicht auf die JVA-Großküche bietet.

Keine Video-Überwachung in der Küche

Eine Videoüberwachung existiert nicht, denn: »Wer alles mit Kameras überwacht, neigt dazu, nur noch auf die Monitore zu schauen, man muss wirklich mit den Leuten reden und schauen«, sagt Maldonado de Landauer. »Unsere Augen und Ohren sind immer offen, einer meiner Kollegen ist immer in der Küche unterwegs und kontrolliert«, ergänzt Drohner. Die Leute in der Küche, das sind fast nur Häftlinge. Drohners Stellvertreter ist Metzgermeister, alle anderen, die hier arbeiten, sind gelernte Köche, Metzger oder aus dem Bereich der Hauswirtschaft. Die meisten aber sind: Häftlinge.

23 Männer kochen für aktuell 560 Häftlinge

Momentan sind 23 Insassen in der Küche beschäftigt. Wäre das Gefängnis voll ausgelastet, würden 30 Insassen mitarbeiten. »Die meisten Gefangenen zieht es in die Küche, weil sie ja Geld dafür bekommen«, sagt Drohner. Einer Arbeit nachzukommen, ist – eigentlich – Pflicht für jeden Strafgefangenen. Die Arbeitszeiten sind angelehnt an den öffentlichen Dienst – Montag bis Freitag, sieben bis 15 Uhr.

Es gibt fünf Vergütungsstufen im Gefängnis, der Stundenlohn variiert zwischen 1,23 und 2,06 Euro. Die Küche zählt zu den lukrativen Knast-Jobs. Wer weiß, vielleicht springt hier ja auch mal ein Häppchen zum sofortigen Verzehr ab. Vier Siebtel des Lohns wandern auf ein Sparkonto, werden nach Haftende ausbezahlt, von dem Rest können sich die Häftlinge mal eine Dose Cola oder ein Tütchen Chips beim »Anstaltskaufmann« gönnen, woanders würde man Kiosk sagen.

Wer in der Küche arbeiten will, wird überprüft

Und wie qualifiziert sich ein Häftling für die Küche? »Bevor ein Insasse hier arbeitet, findet eine Überprüfung statt, der Blick in die Strafakte spielt natürlich eine Rolle. Ebenso seine Vorbildung. Es ist natürlich von Vorteil, wenn jemand schon Erfahrungen in der Gastronomie gesammelt hat, dann müssen wir ihm nicht alles von vorne beibringen«, so Drohner. Auch die Körperhygiene sei ein Auswahlkriterium bei der Auswahl der Küchenaspiranten.

Behandelt man einen Küchen-Häftling, wenn man weiß, dass er eine schreckliche Gewalttat begangen hat, bewusst oder unbewusst anders als etwa einen Steuersünder? Nein, für den Küchen-Job sei die Straftat nur eines von vielen Kriterien.

Thomas Drohner Küchenchef
Foto:  Sebastian Bütow

Was, wenn ein Häftling ein Messer mitgehen lässt?

Stichwort Sicherheit: Was wäre, wenn ein Häftling ein Messer mitgehen lässt? »Das kommt selten bis nie vor«, sagt Drohner gelassen. »Wenn mal eines fehlt, ist es in der Regel aus Versehen im Mülleimer gelandet. Vor und nach der Schicht werden die Messer gezählt, es gibt Metall-Detektoren, die scharfen Küchen-Instrumente werden immer in Schließschränken versperrt. Einige der Messer können an Ketten befestigt werden. »Aber wenn wir halbe Schweine zerlegen oder Bullenvorderviertel, dann ist so eine Kette am Messer doch sehr hinderlich beim Bewegungsablauf.«

»Die Gefängnisküche bietet ein breites Spektrum«

Bevor Drohner Gefängnis-Küchenchef wurde, bekleidete er den gleichen Job bei einer renommierten Adresse: dem Hotel »Steigenberger Drei Mohren« in Augsburg. Eine weitere Referenz: »The George of Stamford«, in Stamford, Großbritannien. »Für mich war es eine einmalige Chance, im Strafvollzug zu arbeiten. Es ist ein gesicherter Arbeitsplatz, man ist Beamter, hat ein Fortkommen – und ein breites Spektrum.« Nicht zu verachten sicherlich auch die für Gastro-Verhältnisse luxuriösen – weil normalen – Arbeitszeiten.

Dies sei auch ein echter Mehrwert für die Lehrlinge, die hier ihre Gastro-Ausbildung absolvieren: »Dass sie hier auch unter ­einem echten Metzgermeister lernen können, ist das Beste, was einem Lehrling passieren kann. Die IHK ist immer recht begeistert von unseren Azubis«, so Drohner, der bei seiner Chefin unverkennbar eine hohe Anerkennung genießt. »Ich bin stolz auf ihn. Weil er nicht nur als exzellenter Koch, sondern auch exzellent in der Menschenführung agiert«, schwärmt ­Zoraida Maldonado de Landauer.

»Bei manchen klappt es, bei manchen nicht«

Offenbar das A und O bei seinem Job. »Es ist wie draußen. Ich führe eine große Küchenmannschaft, die organisiert ist wie eine normale Küche. Nur dass die meisten Kräfte nichts gelernt haben.« Aber das erwähnt er, ohne dabei zu seufzen: »Auch das ist wie draußen. Bei manchen klappt es, bei manchen eben nicht. Manche kann man nur fürs Kartoffelschälen hernehmen.«

Ein Blick auf die Speisekarte der Gefangenen sprengt das Wasser-und-Brot-Klischee endgültig: Montag Pasta all’arrabbiata, Dienstag gibt’s Schweinesteak mit Zucchini-Mais-Gemüse, Mittwoch vegetarischen Brätling mit Currysauce, Reis und Salat. Klingt nicht weniger lecker als in Kantinen, wie wir sie alle kennen. Die JVA Bremen avancierte sogar zur Produktionsstätte für Tomatensalsa und Mango-Chutney, beides wurde bei Edeka verkauft.

»Wir lehnen uns schon ein bisschen an die Deutsche Gesellschaft für Ernährung an, halten uns an die Standards. Die Bedürfnisse von etwa Diabetikern oder Muslimen werden natürlich ebenso berücksichtigt«, sagt Drohner, dessen Team auch das Personal bekocht, das in einer freundlich gestalteten Kantine speist.

Das halbe Hähnchen ist Spitzen­reiter auf der Beliebtheits-Skala

Die Gerichte haben einen Zehn-Wochen-Rhythmus, das heißt: Ein Gericht wiederholt sich nur alle zweieinhalb Monate. »Wir arbeiten mit Steuergeldern, müssen hier auch aufs Budget schauen«, sagt Drohner. Das halbe Hähnchen ist das beliebteste Gericht bei den Häftlingen, vegetarische Gerichte stehen gar nicht hoch im Kurs. Auch die Gyros-Kartoffel-Pfanne mit Tomatenreis und Zaziki und das Puten-Gemüse-Curry kommen hier richtig gut an. Tagtäglich wird eine Probe der Speisen eingefroren, damit Drohners Team sich auf sicherer Seite befindet, falls unberechtigte Beanstandungen kommen.

Nachtisch: Fehlanzeige

Etwas Süßes nach dem Hauptgericht … eher Fehlanzeige. Zweimal die Woche ergänzt eine Obstzulage das Menü der Häftlinge, einmal die Woche gibt es ein Joghurt-Dessert, natürlich immer am Sonntag. Zoraida Maldonado de Landauer: »Wir wollen hier eine vollwertige und gesunde Ernährung anbieten, und da gehört Nachtisch einfach nicht dazu.«

Dafür ist der Speiseplan zu Weihnachten festlich gestaltet, am Heiligen Abend gab’s zuletzt Bratwürste mit Kraut, an den Feiertagen Sauerbraten mit Knödeln und Gockel mit Kartoffel-Endiviensalat, der Lions Club Augsburg organisierte Häftlingen, die keinen Kontakt mehr zu ihren Familien haben, Präsente wie Kaffee, Tabak und Schokolade.

Viele Küchengeräte sind Spezial­anfertigungen

Thomas Drohner erklärt einige seiner Gerätschaften. »Die Gemüsevorbereitung und die Spüle sind die wichtigsten Dinge in einer Küche.« Der Kartoffelschältisch ist eine Spezialanfertigung, ebenso der Kombidämpfer, sie sind allesamt Geräte mit Schloss, »damit keiner Quatsch damit machen kann«. Die Speisetransport­wagen, die die Speisen für die Häftlinge von A nach B bringen, wurden extra für die JVA Augsburg entwickelt.

Die JVA kocht auch für andere Behörden

Das Brot liefert die 35 Kilometer entfernte JVA Aichach in den Norden von Augsburg. »Unter befreundeten Behörden ist es gang und gäbe, sich gegenseitig zu beliefern und zu helfen«, erklärt die Direktorin Maldonado de Landauer. »Manches funktioniert wie bei einer Hotelkette. Aktuell sind wir dran, einer benachbarten Behörde Essen zu liefern, auch die Polizei hat Interesse«, sagt Drohner.

Demnächst feiert der Augsburger Anwaltsverein sein 140-jähriges Jubiläum. Die JVA Augsburg-Gablingen wird das Catering beisteuern. »Die Einnahmen werden dann im Staatshaushalt landen«, sagt Maldonado de Landauer. »Das trägt dazu bei, dass das Inhaftieren von Gefangenen billiger wird.« Ein guter Ansatz. Denn jeder Strafgefangene kostet den Steuerzahler mehr als 4.000 Euro pro Monat.

Doch nein, hier gibt’s keine moderne Kunst zu bestaunen, wie es solch ein Gebäude normalerweise vermuten lassen würde. Hinter diesen imposant gestalteten Frontgemäuern (2016 ausgezeichnet mit dem Deutschen Fassadenpreis) verbergen sich Schicksal, Schuld und Strafe. Bis zu 900 Männern wird in dem 105 Millionen Euro teuren Bau ihre Freiheit entzogen, weil sie Verbrechen begangen haben und verurteilt wurden. Übrigens musste auch der eine oder andere Promi bereits seine Luxusvilla gegen eine der knapp zehn Quadratmeter kleinen Zellen im beschaulichen Gablingen eintauschen.
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.

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