Regional ist das neue Exotisch – Heimatküche neu definiert
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Regional ist das neue Exotisch – Heimatküche neu definiert

ANTONIEWICZ denkt weiter

von Heiko Antoniewicz
Mittwoch, 05.11.2025
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In den Supermärkten sehe ich meist nur fünf, sechs Apfelsorten – und nicht einmal die, die tatsächlich typisch für unsere Region oder Jahreszeit sind. 

Stattdessen dominiert Importware wie der Pink Lady, der hier eigentlich gar nichts verloren hat. Ich empfinde es als meine Aufgabe, den Blick für diese Vielfalt zurückzuholen. Denn Regionalität bedeutet für mich, Saisonalität neu zu leben, Speisekarten flexibel zu gestalten und Gäste dafür zu begeistern, dass nicht immer alles jederzeit verfügbar ist.

Regionalität ist Haltung

Wir Köche kommen aus einer Zeit der Bequemlichkeit: argentinisches Rinderfilet, tropische Früchte, permanente Verfügbarkeit. Heute geht es für mich darum, wieder Begehrlichkeiten zu wecken – mit Produkten, die ihre Zeit brauchen. Wenn ein Ochse noch zehn Tage „reifen“ muss, dann sage ich das meinen Gästen. 

Vorfreude gehört für mich genauso dazu wie der Genuss. Das klappt aber nur mit richtiger Kommunikation. Ich erzähle, woher ein Produkt kommt, wie es erzeugt wurde, welche Idee dahintersteht. So schaffe ich Geschichten, die ein Gericht besonders machen.

Wir müssen Regionalität wieder mit Emotionen 
verbinden

Heiko Antoniewicz 

Altes Gemüse, neue Emotionen

Besonders pannend finde ich es, alte Gemüsesorten neu zu entdecken wie beispielsweise Steckrüben, Schwarzwurzeln, Topinambur. Früher galten sie als Arme-Leute-Essen, heute faszinieren sie durch ihre Ursprünglichkeit. Ich koche sie ganz schlicht – Butter, Salz, ein Gewürz. Weniger ist mehr. So zeigt sich der typische Geschmack.

Manchmal stoße ich auch auf Überraschungen. Wussten Sie, dass man die Blütenblätter einer Sonnenblume essen kann? Sie erinnern im Geschmack an grünen Apfel. Oder dass man den Sonnenblumenkopf wie eine Artischocke zubereiten kann? Für mich ist genau das Heimatküche der Zukunft: neugierig sein, ausprobieren, den Dingen ihre Würde zurückgeben.

Ohne Produzenten keine Regionalität

Das alles funktioniert nur im engen Austausch mit den Erzeugern. Wenn mir ein Bauer sagt, dass seine Sellerieknollen kleiner, fester und süßer werden, wenn er weniger bewässert, dann ist das Wissen, das meine Küche prägt. Diese Zusammenarbeit ist kein Luxus, sondern Grundlage.

Mein Rat

Regionalität ist keine Einschränkung, sondern eine Chance. Mein Tipp an Kollegen: Gehen Sie neugierig über einen Erntedankmarkt, probieren Sie sich bei verschiedenen Bauern durch, reden Sie mit Produzenten. Suchen Sie nicht die schnelle Lösung, sondern den besten Geschmack. 

Letztlich geht es nicht darum, exotische Zutaten durch regionale zu ersetzen. Es geht darum, Emotionen zu schaffen – so wie der Duft eines frisch gebackenen Apfelkuchens, der sofort Erinnerungen weckt. Genau das ist für mich Regionalität: Heimat, die man schmecken kann.


Heiko Antoniewicz
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Der Autor

Heiko Antoniewicz

Heiko Antoniewicz steht wie kaum ein anderer für kreative Spitzenküche mit Substanz. Der renom­mierte Koch, Autor und Berater inspiriert mit seinem Gespür für Aromen, Technik und Trends. Für HOGAPAGE teilt er sein Wissen – praxisnah, leidenschaftlich und visionär.

www.antoniewicz.org

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