Wie Wirtshäuser junge Gäste begeistern
Foto: djile/stock.adobe.com

Wie Wirtshäuser junge Gäste begeistern

Kolumne mit Pierre Nierhaus

von Pierre Nierhaus
Montag, 14.07.2025
Artikel teilen: 

Doch wer heute nur bewahren will, verliert leicht den Anschluss. Junge Gäste suchen nicht nur Sättigung, sie suchen Haltung – Authentizität, Regionalität, ehrliches Handwerk. Genau hier liegt die Chance für die Traditionsgastronomie: nicht im Bruch mit der Vergangenheit, sondern im klugen Weitererzählen.

Inszenierung als Brücke

Ein Beispiel: Statt das Hauptgericht zu revolutionieren, ist es besser, bei Vorspeisen oder Getränken gezielt Akzente zu setzen. Wie wäre es z. B. mit einer „Alpen-Ceviche“? Statt ­Dorade oder Lachs kommt eine fangfrische Forelle auf den Teller, mari­niert mit Apfelessig, Senfkörnern und Wildkräutern aus der Region. Das kennen die Jungen von ihren City-Trips nach Kopenhagen oder Barcelona – und entdecken dabei ­etwas ganz Eigenes.

Kleine Ideen, aber mit großer Wirkung. Sie holen junge Menschen dort ab, wo sie stehen – neugierig, bewusst, offen. Auch das Erlebnis drumherum zählt. Junge Gäste kommen nicht nur wegen des Essens, sondern fürs Erlebnis – das Wirts­haus wird zum Ort der Begegnung, nicht nur der Bewirtung.
Storytelling, Ambiente, kleine Events und nicht zuletzt die Präsenz auf ­Instagram schaffen Begegnung auf Augenhöhe. Warum nicht ein saiso­nales „Krautfest“ mit Oma Emmas Krautwickeln, serviert mit Craftbeer vom befreundeten Brauer? Oder vielleicht „Sonntagsbraten für alle“ mit Fami­lienplätzen und Kids-Menü?

Ein wichtiger Aspekt: Viele Stamm­gäste bringen inzwischen ihre Kin­der oder Enkel mit. Die neue Genera­tion, insbesondere die Generation Z, ist kulinarisch anders sozialisiert. Sie legt Wert auf Vielfalt, Offenheit, Leichtigkeit und pflanzenbasierte Kost. Diese Ansprüche sind kein ­Widerspruch zur Tradition – im Gegenteil. Wer klassische Rezepte neu interpretiert, trifft den Zeitgeist.

Traditionell vegetarisch

Traditionelle Gerichte lassen sich oft hervorragend in eine zeitgemäße, fleischlose Küche übersetzen. Ob Krautkrapfen mit Pilzragout, Bratkartoffeln mit Tofu-Rührei oder ve­getarisches Gulasch mit Wurzelgemüse: Die Geschmackstiefe bleibt erhalten, das Erlebnis ebenso. Alles ganz ohne Fleisch, aber voller Geschmack. Zahlreiche Rezeptbü­cher haben sich des Themas bereits angenommen – die Ergebnisse überzeugen selbst Fleischliebhaber. Wer mit Liebe und Respekt Variationen wagt, verliert nicht die Wurzeln, sondern gewinnt neue Gäste. Die Traditionsgastronomie lebt, wenn sie sich bewegt. So kann aus dem guten alten Gasthaus das Restaurant von morgen werden.

Tradition ist kein Stillstand

Traditionsgastronomie muss sich nicht unbedingt neu erfinden, um auch junge Gäste anzusprechen. Aber sie darf – nein, sie muss – die Tradition zeitgemäß interpretieren. Der Mut zur kleinen Ver­änderung, zur regional inspirierten Innovation, der macht den Unterschied. Auf diese Art wird das Wirtshaus von gestern zum Lieblings­platz von morgen – für treue Stammgäste und ihre Enkel, für Genießer und für Neugierige, für sämtliche Generatio­nen, die gemeinsam am Tisch sitzen.


Pierre Nierhaus
Foto: privat

Unser Autor

Pierre Nierhaus ist Trend- und Change-Experte für die Hospitality-und Lifestylebranche. Er beobachtet und bereist regelmäßig die 30 inspirierendsten Metropolen weltweit, zu denen er interessierten Unternehmern Trendexpeditionen anbietet und ihren Betrieb als Coach unterstützt. 

www.nierhaus.com

Artikel teilen:
Überzeugt? Dann holen Sie sich das HOGAPAGE Magazin nach Hause!