Wie Wirtshäuser junge Gäste begeistern
Kolumne mit Pierre Nierhaus
von Pierre NierhausDoch wer heute nur bewahren will, verliert leicht den Anschluss. Junge Gäste suchen nicht nur Sättigung, sie suchen Haltung – Authentizität, Regionalität, ehrliches Handwerk. Genau hier liegt die Chance für die Traditionsgastronomie: nicht im Bruch mit der Vergangenheit, sondern im klugen Weitererzählen.
Inszenierung als Brücke
Ein Beispiel: Statt das Hauptgericht zu revolutionieren, ist es besser, bei Vorspeisen oder Getränken gezielt Akzente zu setzen. Wie wäre es z. B. mit einer „Alpen-Ceviche“? Statt Dorade oder Lachs kommt eine fangfrische Forelle auf den Teller, mariniert mit Apfelessig, Senfkörnern und Wildkräutern aus der Region. Das kennen die Jungen von ihren City-Trips nach Kopenhagen oder Barcelona – und entdecken dabei etwas ganz Eigenes.
Kleine Ideen, aber mit großer Wirkung. Sie holen junge Menschen dort ab, wo sie stehen – neugierig, bewusst, offen. Auch das Erlebnis drumherum zählt. Junge Gäste kommen nicht nur wegen des Essens, sondern fürs Erlebnis – das Wirtshaus wird zum Ort der Begegnung, nicht nur der Bewirtung.
Storytelling, Ambiente, kleine Events und nicht zuletzt die Präsenz auf Instagram schaffen Begegnung auf Augenhöhe. Warum nicht ein saisonales „Krautfest“ mit Oma Emmas Krautwickeln, serviert mit Craftbeer vom befreundeten Brauer? Oder vielleicht „Sonntagsbraten für alle“ mit Familienplätzen und Kids-Menü?
Ein wichtiger Aspekt: Viele Stammgäste bringen inzwischen ihre Kinder oder Enkel mit. Die neue Generation, insbesondere die Generation Z, ist kulinarisch anders sozialisiert. Sie legt Wert auf Vielfalt, Offenheit, Leichtigkeit und pflanzenbasierte Kost. Diese Ansprüche sind kein Widerspruch zur Tradition – im Gegenteil. Wer klassische Rezepte neu interpretiert, trifft den Zeitgeist.
Traditionell vegetarisch
Traditionelle Gerichte lassen sich oft hervorragend in eine zeitgemäße, fleischlose Küche übersetzen. Ob Krautkrapfen mit Pilzragout, Bratkartoffeln mit Tofu-Rührei oder vegetarisches Gulasch mit Wurzelgemüse: Die Geschmackstiefe bleibt erhalten, das Erlebnis ebenso. Alles ganz ohne Fleisch, aber voller Geschmack. Zahlreiche Rezeptbücher haben sich des Themas bereits angenommen – die Ergebnisse überzeugen selbst Fleischliebhaber. Wer mit Liebe und Respekt Variationen wagt, verliert nicht die Wurzeln, sondern gewinnt neue Gäste. Die Traditionsgastronomie lebt, wenn sie sich bewegt. So kann aus dem guten alten Gasthaus das Restaurant von morgen werden.
Tradition ist kein Stillstand
Traditionsgastronomie muss sich nicht unbedingt neu erfinden, um auch junge Gäste anzusprechen. Aber sie darf – nein, sie muss – die Tradition zeitgemäß interpretieren. Der Mut zur kleinen Veränderung, zur regional inspirierten Innovation, der macht den Unterschied. Auf diese Art wird das Wirtshaus von gestern zum Lieblingsplatz von morgen – für treue Stammgäste und ihre Enkel, für Genießer und für Neugierige, für sämtliche Generationen, die gemeinsam am Tisch sitzen.

Unser Autor
Pierre Nierhaus ist Trend- und Change-Experte für die Hospitality-und Lifestylebranche. Er beobachtet und bereist regelmäßig die 30 inspirierendsten Metropolen weltweit, zu denen er interessierten Unternehmern Trendexpeditionen anbietet und ihren Betrieb als Coach unterstützt.