Die Küche Israels nabelt sich zusehends von ihrer jüdischen Tradition ab und erfindet sich neu
Fotos: iStockphoto

Heilig ist woanders

Die Küche Israels nabelt sich zusehends von ihrer jüdischen Tradition ab und erfindet sich neu

von Wolf Demar
Freitag, 27.01.2017
Artikel teilen: 

Alt und Neu existieren hier nebeneinander, übereinander und miteinander. Tel Aviv selbst ist eine sehr junge Stadt  und wurde erst 1908 gegründet. Das benachbarte Jaffa existiert jedoch bereits seit über 5.000 Jahren. Die beiden Städte sind längst zusammengewachsen und heißen seit 1950 offiziell Tel Aviv-Jaffa. Während das traditionelle Jaffa (oder arabisch ­Yaffo) hauptsächlich von Arabern bewohnt wird, ist Tel Aviv eine moderne jüdische Stadt. Die meisten Restaurants haben zwar englischsprachige Speisekarten, die Websites sind zumeist jedoch nur in hebräischer Sprache (und Schrift!) gehalten.

Tscholent:

ein Eintopfgericht der aschkenasischen jüdischen Küche für die Mittagsmahlzeit am Sabbat. Grundbestandteile sind Fleisch, Bohnen, Graupen und Kartoffeln.

In den meisten Restaurants wird heute überwiegend levantinisch gekocht, was mit dem Klima, der lokalen Tradition und den vorhandenen Lebensmitteln zu tun hat. Mit dem modernen Israel hat die klassische »jiddische Küche« – »gefilte Fisch«, Borsch oder Tscholent – so gut wie nichts gemeinsam. Gerichte wie Hummus, Falafel, Shakshouka oder Taboulé stehen dagegen häufig auf den Speisekarten. Gemüsebetont, leicht und mit frischen Kräutern gewürzt, entspricht die levantinische Küche dem aktuellen Zeitgeist.

Zu den bei uns bekanntesten Gerichten jüdischen Ursprungs gehört Pastrami, das meist als Sandwich angeboten wird, in den USA beinahe zum Standardangebot jedes Delis zählt und auch bei uns immer beliebter wird. Auch die koschere Küche (siehe ­Infokasten) hat in der jungen Restaurantszene nicht mehr die ­Bedeutung von früher.

Die schicken Ecken Tel Avivs

Eines der besten Restaurants der Stadt nennt sich Yaffo-Tel Aviv und liegt in einem modernen Bürogebäude in der wohlhabenden Montefiore-Nachbarschaft. Es gehört Haim Cohen, der hier eine moderne levantinische Küche auftischt, die ­Inspirationen aus dem ganzen östlichen Mittelmeerraum und Europa in sich vereint.

Gefilte Fisch:

ein kaltes Fischgericht, das von gläubigen Juden traditionell am Sabbat, an Feiertagen und zu besonderen Gelegenheiten als Vorspeise gegessen wird. Es besteht aus gewürzter Fischfarce von gehacktem oder faschiertem Karpfen oder Hecht, die je als kleine Knödel, in Scheiben oder in die Fischhaut gefüllt als ganzer Fisch in Suppe pochiert und im erkalteten, gelierten Sud serviert wird.


Tischtücher gibt es hier nicht, die Musik ist relativ laut und der Service – sagen wir einmal – salopp. »In Tel Aviv legen wir keinen großen Wert auf formelle Eleganz. Wenn wir ausgehen, wollen wir loslassen und locker sein. Das war in Tel Aviv schon immer so. Doch seit ein paar Jahren kann man bei uns auch richtig gut essen«, meint Cohen. Und das gilt nicht nur für sein eigenes Lokal.

Gleich um die Ecke liegt das beliebte Topolopompo, wo Avi Conforti groß aufkocht, und zwischen dem Rothschild Boulevard und der Montefiore Street hat sich ein richtiges Ausgehviertel entwickelt. Die boomende Restaurant-Szene zeigt sich hier bunt und abwechslungsreich und auch richtig gut. Das Restaurant im Montefiore Hotel ist nicht nur eines der stimmungsvollsten Restaurants der Stadt, sondern auch eines der besten. Seine Weinkarte bietet über 50 israelische Weine, und zur fachkundigen Beratung gibt es einen Sommelier. Und auch im Popina Restaurant wird Ess- und Trinkkultur großgeschrieben. Der junge Küchenchef Orel Kimchi zählt zu den größten Talenten der Stadt und bietet eine der aufregendsten Interpretationen der »New Israeli Cuisine«.

Carmelmarkt
Der Carmel-Markt in Tel Aviv beherbergt zahllose trendige
Streetfood- und Craft-Bier-Lokale. Foto: Demar

Bunt und abwechslungsreich

Außer im Liliyot wird in keinem anspruchsvollen Restaurant von Tel Aviv koscher gekocht. Die Religion ist in Jerusalem zu Hause, wo auch ein Großteil der Restaurants koschere Gerichte bietet. Dafür boomen in Tel Aviv vegane Restaurants und Coffee Shops. Die Stadt ist jung und trendig und hat wenig Sinn für strenge Regeln. Das ist wohl auch ein Mitgrund, wieso hier Juden und Araber so gut miteinander auskommen.

Pastrami:

besteht aus Rindfleisch, das in einer intensiven Gewürzlake gepökelt, danach geräuchert und anschließend dünn aufgeschnitten zwischen zwei Sandwichscheiben gestapelt wird.

Das gilt auch für Jaffa, wo man nicht nur im historischen Zentrum gut essen kann. Auch im »The Old Man and the Sea« am alten Hafen geht es stimmungsvoll und köstlich zur Sache. Und dann muss man natürlich auch den lebendigen Carmel-Markt im Süden von Tel Aviv besuchen, wo man tagsüber hervorragend snacken kann. In den Nebengassen findet man zahlreiche kleine Lokale, die auch abends geöffnet haben. Unter anderem findet man hier auch trendige Streetfood- und Craft-Bier-Lokale.

Oasen in der Wüste

Bereist man den Rest des Landes, tut man sich wesentlicher schwerer, ordentlich zu essen. Selbst in luxuriösen Hotels ist das kulinarische Niveau bescheiden. Gute Res­taurants muss man mit der Lupe suchen. Man hat vielfach den Eindruck, dass es sich beim Essen um die Befriedigung eines Grundbedürfnisses handelt und nicht um einen freudvollen Genuss. Die Religion spielt dabei sicher eine Rolle, genauso wie strukturelle Probleme. Die Berufe Koch und Kellner sind schlecht angesehen, die Ausbildung mangelhaft und die Bezahlung in der Regel sehr niedrig. Viel und billig sind vielfach die Kriterien, nach denen ein Lokal ausgesucht wird.

Shakshouka:

eine Spezialität der nordafrikanischen und jüdischen Küche. Das Gericht wird aus pochierten Eiern in einer Sauce aus Tomaten, Chilischoten und Zwiebeln zubereitet.

Doch es gibt Ausnahmen. In Akko bei Haifa etwa betreibt der fröhliche Autodidakt Uri Jeremias seit 20 Jahren ein bemerkenswertes Fischrestaurant, das nicht nur äußerst stimmungsvoll ist, sondern auch mit der Qualität der Speisen überzeugt.

Das Trennende nicht über das Gemeinsame stellen

Auch in der Heiligen Stadt Jerusalem kann man mittlerweile ordentlich essen, wenn man weiß, wohin man geht. Am stimmungsvollsten ist es im Machane Yehuda Restaurant, wo Uri Navon jene moderne israelische Küche auftischt, die derzeit weltweit so angesagt ist. Inzwischen gibt es auch eine Niederlassung in London. Koscher ist das Ganze natürlich nicht. Erstens legt Navon keinen gesteigerten Wert darauf, auch beim Essen das Trennende über das Gemeinsame zu stellen. Vor allem aber will er nicht auf Butter, Käse und Fleisch verzichten.

Taboulé:

ein Salat aus der libanesischen Küche. Er wird als Vorspeise oder Zwischenmahlzeit serviert, bisweilen kommt er als Beilage auf den Tisch. Im deutschen Sprachraum wird er als Bulgursalat bezeichnet.


 Koschere Küche

Strenggläubige Juden nehmen nur koschere Nahrung zu sich. Diese Regeln sind in den Kaschrut-Gesetzen zusammengefasst. Sie besagen, dass man auf gewisse Lebensmittel wie Schwein, Tintenfisch und Meeresfrüchte zu verzichten hat. Manche Innereien sowie die Geschlechtsteile von zugelassenen Tieren wie Rind, Schaf, Wild und Ziege sind ebenfalls tabu. Außerdem müssen diese Tiere koscher geschlachtet – also »entblutet« und gesalzen – werden. Beim Kochen ist auf eine strenge Trennung zwischen Milch und Fleisch zu achten. Butter hat daher in einer Küche, wo Fleisch zubereitet wird, nichts verloren. Nachdem man Fleisch gegessen hat, muss man eine gewisse Zeit warten, bis man milchige Produkte wie Käse, Eis oder Mehlspeisen essen darf. Die Trennung zwischen milchig und fleischig betrifft auch das Essgeschirr. In privaten Haushalten gibt es daher zwei unterschiedliche Geschirrsets, koschere Restaurants entscheiden sich, ob sie milchig oder fleischig sind.

Die neue Küche Israels in Deutschland
Chefkoch Gal Ben Moshe serviert im Glass in Berlin eine kreative
Interpretation von Speisen aus aller Welt. Haya Molcho ist mit dem
Neni eine Vor­reiterin der modernen israelischen Küche. Inzwischen
gibt es ihr Konzept nicht nur in Wien, sondern auch in Berlin,
Hamburg, Tel Aviv und Zürich. Foto: Neni; Glass Berlin

Schalom und guten Appetit!

Die neue Küche Israels in Deutschland

Ob Bagel mit Lachs oder Hummuscreme – die israelische Küche erfreut sich in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Wir nehmen den Trend einmal genauer unter die Lupe. Text: Gabriele Gugetzer

Schnell vorweg: Die Küche Israels gibt’s genauso wenig wie die Küche Indiens oder die Küche Chinas. Milchsauer eingelegte Produkte, haltbar gemachter Fisch, Bagel und Roggenbrot stammen aus der sogenannten aschkenasischen Küche Osteuropas. Die sephardische jüdische Küche hingegen kommt aus dem Nahen Osten. Couscous, Hummus & Co. gehören denn auch nicht nur in Israel, sondern auch bei den Nachbarn im arabischen Raum bis hin zur Türkei oder dem Iran zum Grundgerüst des Genießens.

Und genau dieser Mix aus Länderküchen, der macht’s eben, weiß Nuriel Molcho aus erfolgreicher Erfahrung. Er ist Marketingboss der kleinen Restaurantkette Neni. In Hamburg und Berlin haben sich Dependancen an die coole Hotelkette 25Hours angedockt – »einer der Besitzer wollte für die Hotels eine Küche, die anders ist und kreativ«. Und das ist sie. Denn »die israelische Küche ist eine Mischung aus Küchen der ganzen Welt, seine Einwohner stammen aus Arabien, Russland, Rumänien, Spanien«, um nur einige zu nennen. Fazit: »Da ist also für jeden Geschmack etwas dabei.«

Hier wird gespielt – mit Aromen

Die Raffinesse im Sinne französischer oder japanischer Kochkunst darf man nicht
erwarten. Das Können »liegt im Spiel der Geschmacksaromen«, findet Aliyas Karimi, Geschäftsführer des Hamburger Café Leonar: »Israelische Küche hat die einzigartige Würzung der arabischen Küche.« Wer die hinkriegt, hat die Lizenz zum Erfolg. So kann das Café-Restaurant Leonar die Miete in einem der hochpreisigsten Hamburger Stadtteile zahlen und ist von acht Uhr morgens bis ein Uhr morgens durchgehend geöffnet. Die Renner sind Salatvariationen, Falafel, Hummus »und fast alles, was in eine Pita passt«. Das kostet weder den Gast viel noch den Gastronomen beim Einkauf. Mezze machen sie hier selbst täglich frisch, auch das ist kostengünstiger als der Einkauf im Großmarkt.

Ist israelisch das Gleiche wie koscher?

Nein. Selbst das Café Leonar, das in einem einst jüdisch geprägten Viertel – die Thoraschule stand auf der anderen Straßenseite – angesiedelt ist, ist nicht koscher. Denn das ist im Gegensatz zu Dips, Süppchen und Sandwiches eine aufwendige Angelegenheit, erklärt Karimi. »Auch in Israel gibt es weit weniger koschere Restaurants, als man meinen würde. Drei verschiedene Sorten Besteck für Fleisch, Milch und Parve, zwei getrennt operierende Küchen, regelmäßige Segnungen vom Rabbiner …« Das sind nur einige Beispiele dafür, warum israelisch und koscher zwei verschiedene Paar Schuhe sind. »Der ­finanzielle Aufwand dafür wäre ganz generell zu hoch.«

Sex und das Sandwich

Meg Ryan im New Yorker Sandwich-Schuppen Katz’s Deli … ein Filmklassiker, ein Essklassiker. Eigentlich wollen Sally und Harry im Katz’s nur ein Pastrami-Sandwich essen, doch bald dreht sich die Diskussion darum, ob Männer merken, wenn Frauen … na ja, Sie kennen den Film. Sandwiches der ostjüdischen Art, mit Bergen von dünn aufgeschnittenem, gepökeltem Fleisch, Senf, Gurken und anderen milchsauer eingelegten Würzzutaten sind weniger typisch israelisch oder typisch jüdisch, sondern typisch New York. Lässig uminterpretiert, auf blank gescheuertem Holz serviert, ist das ein leicht umzusetzender Trend. (Das ­Occam Deli in München-Schwabing ist ein gutes Beispiel.)

Geht aber auch in chic

Das Glass in Berlin hingegen setzt zwar auf die Küche der Levante, dennoch ist bei Chefkoch Gal Ben Moshe alles anders. Der gebürtige Tel Aviver hat sein Restaurant bewusst nicht in einem Trendviertel aufgezogen, sondern im lauschigen Charlottenburg. Cremes und Dips kommen als Amuse-Gueule. Aus dem jüdischen Gemüseklassiker Blumenkohl macht er ein Süppchen mit Datteln, das Tatar zu Couscous und Pistazien ist aus Lammfleisch. »Fine Dining, serviert mit Herz, modern und entspannt« will er auf den Tisch bringen. Die Gäste kommen aus der Nachbarschaft, ebenso legen auch weltläufige Touristen einen Boxenstopp ein. Wenig überraschend kommen sie aus Skandinavien, Großbritannien und den USA, wo man mit einem solchen Kulturmix auf dem Teller schon selbstverständlicher umgeht als bei uns.

Weitere Artikel aus der Rubrik Titelstory

Artikel teilen:
Überzeugt? Dann holen Sie sich das HOGAPAGE Magazin nach Hause!