Großer Genuss bestimmt seit jeher die Lebensart der Grande Nation auch heute noch!
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Oh là là, Fronkreisch!

Großer Genuss bestimmt seit jeher die Lebens- art der Grande Nation – auch heute noch!

von Daniela Müller
Dienstag, 29.11.2016
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Weil die französische Küche so sehr in der Kultur des Landes verwurzelt ist, wurde sie 2010 – als erste Landesküche überhaupt – sogar von der UNESCO als immaterielles Kulturgut zum Weltkulturerbe ernannt. Und das hat seinen Grund: Gutes Essen gehört in Frankreich heute nicht allein der Oberschicht – es gehört allen. Das war nicht immer so: Vor der französischen Revolution arbeiteten die großen Köche für den Adel am Hofe oder für das wohlhabende Bürgertum. Nach 1789 eröffneten viele der arbeitslos gewordenen Küchenchefs Restaurants oder fanden darin eine Beschäftigung. In dieser Zeit zog es viele Küchenkünstler der Grande Nation ins europäische Ausland – nicht nur im reichen London lernte man diese buchstäbliche Mundpropaganda zu schätzen.

Auguste Escoffier
Auguste Escoffier
Escoffier gilt als Schöpfer
der feinen modernen
Kochkunst und als erster
Reformator der Küche des
20. Jahrhunderts. Auf dem
Marktplatz von Villeneuve
Loubet wurde ihm ein
Denkmal errichtet. In
seinem Geburtshaus
befindet sich das
»Escoffier-Museum«.
Aus seiner Feder stammt
das Buch »Le guide
culinaire« – eine wahre
Küchenbibel.

Weltweit der Inbegriff der Kochkunst

Der internationale Siegeszug der französischen Küche wurde durch die Revolution nachhaltig befeuert. Und in Frankreich konnten plötzlich weniger gut betuchte Bürger in einem der zahlreichen neuen Restaurants in den Genuss der ­hohen Küchenkunst kommen. Spätestens als preiswerte Brasserien und Bistros die französischen Städte eroberten, war die Cuisine française in der breiten Masse angekommen. Und sie fand Gefallen an den kulinarischen Genüssen. Das ist bis heute so geblieben. Noch immer ist die Nationalküche Frankreichs prägend für den Stil vieler großer Köche weltweit.

Land der unbegrenzten kulinarischen Möglichkeiten

Trotz der großen Unterschiede zwischen der »klassischen« französischen und der ländlichen Kochkunst herrscht in Frankreichs Küchen eine harmonische Koexistenz des Nationalen und Regionalen. »Beide Küchen vereinen zwei wesentliche Gemeinsamkeiten: ihr bedingungsloser Anspruch an die Qualität der Produkte und das Handwerk, das mit der Zubereitung verbunden ist«, erklärt Paul Stradner, Küchenchef im Brenners Park-Restaurant, einer der jüngsten 2-Sterne-Köche in Deutschland. Der Gault & Millau kürte ihn zum »Aufsteiger des Jahres 2016«. Der 35-Jährige hat sein Herz bereits vor langer Zeit an die Cuisine française verschenkt. Von 2002 bis 2005 war Stradner im »Hausgast Restaurant Silberberg« in der Traube Tonbach in Baiersbronn als Junior Sous Chef tätig. Nach einer kurzen Zwischenstation im Le Cerf in Maerlenheim wechselte er als Commis de Cuisine in Harald Wohlfahrts Schwarzwaldstube. Damals sei ihm bewusst geworden, welch komplexe Technik die Haute Cuisine ausmache. »Ich kenne weltweit – außer vielleicht Japan – nicht wirklich eine andere Nation, deren Küche eine ähnlich große Bedeutung hat. Und kein anderes Land, das so stolz auf das damit verbundene Handwerk ist. Und dieses Handwerk ist in Europa für Köche einfach das Maß aller Dinge«, schwärmt er.

Paul Bocuse
Paul Bocuse
Der Spitzenkoch aus
Collonges bei Lyon ist ein
Mitbegründer der Nouvelle
Cuisine. Seit 1965 hält er
mit der »Auberge« drei
Michelin-Sterne. Zu seinem
Konzern zählen heute
diverse Lokale in der ganzen
Welt, Fein- und Tiefkühlkost
sowie Kochbücher. Der
Bocuse d’Or in Lyon ist der
wohl wichtigste Profi-
Kochwettbewerb.
Foto: picture-alliance/dpa

Kulinarische Konkurrenz befeuert die Küchenevolution

Allerdings, so betont der Küchenchef, habe sich auch die französische Küche in den vergangenen Jahren weiterentwickeln müssen. Aus gutem Grund: Die kulinarische Konkurrenz – insbesondere in Spanien und den skandinavischen Ländern – hat nicht geschlafen und zunehmend das Interesse der internationalen Gourmetszene geweckt. Vom spanischen El Bulli bis zum dänischen Noma – innovative Restaurantkonzepte setzten die Kochkünstler in Frankreich unter gehörigen Druck. »Viele Köche haben schon vor fünf oder sechs Jahren verstanden, dass die Ansprüche der Gäste gewachsen sind und sich verändert haben«, so Stradner. Geschmack allein auf dem Teller war nicht mehr genug, die Gerichte mussten leichter daherkommen, das Restauranterlebnis als solches wieder größer werden. »Die Franzosen haben sich das zu Herzen genommen, und sie haben es geschafft, ihrer Küche die Schwere zu nehmen und weltoffener zu werden – ohne sich dabei selbst zu verraten.«

Weniger Effekthascherei = mehr Genuss

Stradners Kochkunst ist ein schönes Beispiel, wie so etwas aussehen kann: Sein Küchenstil ist tief in der französischen Tradition verankert, vereint Purismus und Virtuosität zu exzellenten Kreationen. Er kocht eine leichte, zeitgemäße Küche und stellt das Produkt in den Mittelpunkt. »Was man bestellt hat, soll auf dem Teller sein – und zwar so, dass man es noch erkennt. Für mich ist dabei wichtig, dass ich als Koch nicht am Produkt vorbeiarbeite, es verfälsche, nur um einen gewissen Effekt zu erzielen – wie das ja in der Hochzeit der Molekularküche sehr angesagt war«, erklärt der Sterne­koch. »Ich möchte einfach mit Top-Produkten arbeiten und diese veredeln. Deshalb fühle ich mich mit der französischen Küche sehr wohl.

Foie gras Gänsestopfleber
Foie gras: in Deutschland aus Tierschutzgründen verpönt,
in Frankreich Kulturgut. Foto: iStockphoto

Label Rouge – amtlich bestätigte Qualität

Während also in Deutschland viel über hohe Qualität geredet, jedoch häufig am Ende doch aufgrund des Preises entschieden wird, sind unsere französischen Nachbarn in diesem Punkt kaum kompromissbereit. Eines haben sie uns auf jeden Fall voraus: Sie haben ein überzeugendes System geschaffen, mit dem sie ihre Produktqualität hervorheben, z. B. mit dem Label Rouge, einem amtlichen Gütesiegel für hochwertige Lebensmittel aus Frankreich, das auch bei Endverbrauchern heute sehr beliebt ist. Es wurde 1965 auf Veranlassung französischer Geflügelproduzenten geschaffen, die mehr Wert auf eine traditionelle und naturnahe Tierhaltung legten. Neben Geflügel werden unter diesem Gütesiegel mittlerweile auch andere land- und fischereiwirtschaftliche Erzeugnisse geführt. »Ich finde, Qualität wird in Frankreich einfach besser vermarktet als in Deutschland. Deshalb sind die Franzosen wohl eher gewillt, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben«, meint Paul Stradner. »Wenn ich in einen französischen Supermarkt gehe und mir das Angebot anschaue und die Preise, dann weiß ich, dass den Menschen dort ihr Essen mehr wert sein muss als uns Deutschen.«

Diese Beobachtung kann ein früherer Weggefährte des Österreichers bestätigen. »Wir hier im grenznahen Elsass bemerken sehr wohl, dass es sich in Deutschland etwas schwieriger gestaltet mit der Esskultur. Wir haben eine ganze Reihe 3-Sterne-Restaurants hier im Umkreis. Das ist doch ein gutes Indiz dafür, dass wir noch immer sehr viel Wert auf unsere Kulinarik legen«, bekräftigt Jean-Georges Klein, Küchenchef der Villa René Lalique, für den Paul Stradner im Restaurant L’Arnsbourg in Baerenthal bereits als Souschef gearbeitet hat. Klein: »Ich glaube schon, dass gerade die junge Generation hier wieder zunehmend auf ihre Ernährung achtet. Immer mehr Menschen wollen wissen, woher ihre Lebensmittel kommen und wie sie angebaut bzw. produziert wurden. Dadurch spielen kleinere Hersteller wieder eine größere Rolle, die sich bemühen, authentische Produkte zu machen.«

Alain Ducasse
Alain Ducasse
wurden als erstem Chefkoch
neun Michelin-Sternen auf
einmal verliehen. Der
Franzose betreibt
Restaurants auf der ganzen
Welt, unter anderem in
New York, Monaco – und
natürlich in Paris. Außerdem
betreut er seine Bäckerei,
seine Auberges, eine
Kochschule und schrieb
zahlreiche Bücher.
Foto: picture alliance/dpa

Autodidakt mit 2 Michelin-Sternen

Kleins Karriere ist eine ungewöhnliche und – vielleicht gerade deshalb – eine ­typisch französische Erfolgsgeschichte: Eine Kochlehre machte er nie, seinen Lebenslauf zieren keine Anstellungen bei großen Namen, trotzdem hält der 65-Jährige heute zwei Michelin-Sterne. Sein ­Talent bekam der sympathische Elsässer wohl in die Wiege gelegt. Seine Großmutter betrieb in Baerenthal ein einfaches Gasthaus, das später seine Mutter Lilly übernahm. Unter ihrer Führung entwickelte sich das Restaurant zu einem beliebten Anlaufpunkt für Genießer. Das würdigte der Michelin mit einem Stern. Dass Klein in den Familienbetrieb einsteigen würde, stand außer Frage. Nach dem Abschluss an der Hotelfachschule trat er seinen Dienst im Restaurant L’Arnsbourg in Baerenthal an. Es war Not am Mann im Service– und so musste die Küche auf Klein warten.

Und sie wartete: Im Jahre 1989 wechselte er schließlich im Alter von 39 Jahren an den Herd. Die verlorene Zeit holte der Autodidakt nach. Seine große Neugier war sein Antrieb. Klein bildete sich fort, unter anderem durfte er dem spanischen Starkoch Ferran Adrià zwei Wochen über die Schultern schauen. Auch Pierre Gagnaire nennt er als Quelle seiner Inspirationen. 1990 wurde er Küchenchef und machte den Familienbetrieb zu einem der angesehensten Adressen Frankreichs: Seinen dritten Stern verlieh ihm der Michelin 2002. Anfang 2015 verließ Jean-Georges Klein das Restaurant L’Arnsbourg und wechselte kurz darauf in das Restaurant Villa René Lalique im nahegelegenen Wingen-sur-Moder.

Jöel Robuchon
Joël Robuchon
Im Priesterseminar entdeckte
Robuchon mit 15 Jahren
seine Lust am Kochen.
Der Gault & Millau ernannte
ihn zu einem der vier
»Jahrhundertköche« (dazu
ge­hören auch Paul Bocuse,
Frédy Girardet, Eckart
Witzigmann). Seine Edel-
Tapasbar-Kette »L´Atelier«
umfasst diverse Lokale von
Paris bis Hongkong.
Foto: picture alliance/AP
Images/Invision

Endlich zurück zum Wesentlichen

Klein ist bekannt für seine »evolutive« Küche, bei der mit unerwarteten Assoziationen die Sinne angeregt werden sollen. Der ursprüngliche Geschmack der Produkte geht ihm dabei nie verloren. »Ein Gericht muss einfach sein, es muss schmackhaft sein. Wenn man nach dem Genuss darüber nachdenken muss, was man eigentlich gerade auf dem Teller hatte und was der Koch einem damit sagen wollte, dann ist das meiner Meinung nach nicht das Wahre«, ist er überzeugt.

Dass es lange Zeit modern war, zu sagen, man interpretiere ein traditionelles Gericht neu, bringt Jean-Georges Klein heute noch zum Schmunzeln. »Der Geschmack sollte am Ende schon besser sein als vorher. Aber genau das war häufig nicht der Fall. Deshalb findet man heute so wenig funktionierende moderne Küchen. Nicht nur in Frankreich, auch im restlichen Europa besinnen wir Köche uns gerade wieder zurück auf das Wesentliche: den Geschmack, die Kultur bzw. Tradition und eine gewisse Subtilität in den Assoziationen.«

Kleins Villa René Lalique ist umgeben von Wald. Und den sollen die Gäste auf ihren Tellern wiederfinden. Im Herbst serviert der Küchenchef beispielsweise Milchkalbskotelett, gebraten, Nusskartoffeln und Steinpilze oder knusprigen Spanferkelrücken, Waldmeister und Ricotta-Gnocchi. Aber auch Froschschenkel, gegart mit Tomaten, Kräutern und Koriander, stehen auf der Karte.

Und wie steht es mit Foie gras, der in Deutschland aus Tierschutzgründen eher verpönten Gänsestopfleber? »Sicher haben wir Foie gras auf der Karte. Das gehört zu unserer Tradition dazu, es ist ein Kulturgut hier. Die Vorbehalte, die die Deutschen dagegen haben, verstehen wir Franzosen ehrlich gesagt eher nicht«, sagt er. Und fügt an: »Für uns sind drei Dinge wichtig: gut essen, gut trinken, gut leben. Und dann erst kommt alles andere. In Deutschland ist die Reihenfolge vielleicht etwas anders, da zählen sehr oft zuerst das Auto und das Haus. Der Franzose will zuallererst gut leben.« Und das ist für die französische Gastronomie ein großer Vorteil – Leben »wie Gott in Frankreich« versteht die Grande Nation eben wie keine andere. Vive la Cuisine!

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