Strategien

Wie kann der Arbeitsmarkt dem Fachkräftemangel begegnen?

Porträt von Prof. Dr. C. Katharina Spieß, Direktorin des BiB,
Prof. Dr. C. Katharina Spieß, Direktorin des BiB, erklärt, dass Erwerbspotenzial der in Deutschland lebenden Männer und Frauen ist noch lange nicht ausgeschöpft. (Foto: © picture alliance / Metodi Popow | M. Popow)
Bis 2040 sinkt das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland um mehrere Millionen Menschen. Neue Studien zeigen jedoch: Frauen, Ältere und Zugewanderte bergen großes ungenutztes Arbeitsmarktpotenzial.
Montag, 08.09.2025, 09:24 Uhr, Autor: Sarah Hoffmann

„Mit dem Übergang der geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre in den Ruhestand wird sich die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 67 Jahren deutlich reduzieren“, erklärt Prof. Dr. C. Katharina Spieß, Direktorin des BiB.

Aktuellen Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamts zufolge geht die Zahl der Erwerbspersonen von heute 51 Mio. auf 48 Mio. im Jahr 2040 zurück.„Eine zentrale Frage für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wird somit sein, wie wir den demografisch bedingten Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials durch ein steigendes Erwerbsvolumen auffangen oder gar ausgleichen können.“

Grafik zum Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials
Ab 2022 beruhen die Bevölkerungszahlen auf der Fortschreibung auf Basis des Zensus 2022. Ab 2025: Ergebnisse der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Bundes und der Länder mit folgender Variante: Moderate Entwicklung der Fertilität, Lebenserwartung und Wanderung (langfristiger Wanderungssaldo: 250.000 jährlich). (Foto: © openPR)

Szenarien zur Hebung des Arbeitsvolumens

Eine BiB-Vorausberechnung zeigt: Selbst eine sehr hohe Nettozuwanderung von jährlich über 450.000 Personen könnte den Rückgang bis 2035 nicht vollständig stoppen. Doch es gibt Spielräume:

  • Höhere Erwerbstätigkeit von Frauen, v. a. in Westdeutschland, könnte das Minus um bis zu 2,6 Prozentpunkte abfedern.

  • Mehr Arbeitsstunden von über 55-Jährigen könnten weitere 3,2 bis 4,1 Prozentpunkte ausgleichen. „Mehr Erwerbstätigkeit von Frauen sowie von Älteren könnte den Rückgang spürbar abfedern“, so Spieß.

Mütter wollen mehr arbeiten – Betreuung bleibt Schlüssel

Laut Daten des Familiendemografischen Panels FReDA wünschen sich Mütter mit minderjährigen Kindern im Schnitt 5 bis 6 Stunden mehr Arbeitszeit pro Woche als sie tatsächlich leisten. Würde dieses Ideal Realität, entspräche das 645.000 zusätzlichen Vollzeitstellen.

Doch: Ohne ausreichende Kindertagesbetreuung bleibt dieses Potenzial schwer nutzbar. Laut Kinderbetreuungsstudie (KiBS) hat jede fünfte Familie mit Kleinkindern keinen Kita-Platz. Würden alle Familien ihren Bedarf decken können, ließe sich die Erwerbsquote von Müttern mit Kleinkindern um bis zu 11 Prozentpunkte erhöhen.

Zugewanderte aus Fachkräfte in Engpassberufen

Besondere Chancen sieht das BiB bei den rund 1,1 Mio. Schutzsuchenden aus der Ukraine. Ihr Anteil an Erwerbstätigen ist von 43 Prozent (2022) auf rund 50 Prozent gestiegen.

Hindernisse bestehen vor allem durch fehlende Sprachkenntnisse und Betreuungsverpflichtungen. Dennoch: Rund die Hälfte der ukrainischen Zugewanderten hat Berufserfahrung in Engpassberufen wie Pflege, Gesundheit und Handwerk.

Längeres Arbeiten durch realistischere Lebenserwartung

Um die Erwerbspotenziale älterer Menschen besser abschätzen zu können, ist die Planung des Erwerbsaustrittsalters von zentraler Bedeutung. Aus Analysen des Deutschen Alterssurveys (DEAS) geht hervor, dass das geplante Erwerbsaustrittsalter bei Männern des Jahrgangs 1955 durchschnittlich etwa 63 Jahre betrug; für den Jahrgang 1970 ist es auf 65 Jahre angestiegen. Bei Frauen erhöhten sich die Vergleichswerte von knapp 63 auf 65 Jahre. Damit liegt das geplante Erwerbsaustrittsalter bei den geburtenstarken Jahrgängen der Babyboomer im Schnitt zwei bis drei Jahre unterhalb der gesetzlichen Regelaltersgrenze.

Neben klassischen Faktoren wie Gesundheit, Einkommen, Ausbildung, Arbeitsmarktlage oder gesetzlichen Vorgaben spielt die persönliche Einschätzung der eigenen Lebensdauer eine wichtige Rolle für den geplanten Ruhestand. Menschen, die ihr Leben eher kürzer einschätzen, planen ihren Ausstieg aus dem Erwerbsleben im Schnitt rund ein Jahr früher als jene, die von einer realistischeren oder längeren Lebensdauer ausgehen.

Besonders betroffen sind hier ältere Frauen: Sie arbeiten häufiger in Teilzeit und tendieren stärker als Männer dazu, ihre Lebenserwartung zu unterschätzen. Eine realistischere Selbsteinschätzung könnte daher gerade bei Frauen zusätzliche Erwerbspotenziale erschließen.

Auswirkungen auf Gastronomie und Hotellerie

Die demografische Entwicklung betrifft besonders Branchen mit hohem Personalbedarf wie Gastronomie und Hotellerie. Schon heute zählt der Fachkräftemangel zu den größten Herausforderungen – etwa bei Köchen, Servicekräften oder im Housekeeping.

Sinkt das Erwerbspersonenpotenzial weiter, dürfte sich der Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter noch verschärfen. Maßnahmen wie bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gezielte Sprachförderung für Zugewanderte sowie die attraktive Gestaltung von Arbeitszeiten für ältere Beschäftigte könnten helfen, auch in Hotellerie und Gastronomie neue Potenziale zu erschließen.

Zusammenfassung

„Das Erwerbspotenzial der in Deutschland lebenden Männer und Frauen ist noch lange nicht ausgeschöpft“, fasst Spieß zusammen. Spielräume bestehen insbesondere bei Frauen, Müttern, Zugewanderten sowie älteren Menschen. Unterstützende Maßnahmen – etwa mehr Kita-Plätze, bessere Anerkennung ausländischer Abschlüsse und eine realistische Einschätzung des Rentenalters – könnten entscheidend dazu beitragen, Fachkräftelücken nachhaltig zu schließen.

(openPR/SAHO)

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