Dauererregte Gesellschaft
Das Schweizerhaus, ein Lokal mit dem wahrscheinlich größten Gastgarten Wiens und bekannt für sein Bier und seine Stelzen, war vergangene Woche unfreiwillig der Star in allen (vor allem sozialen) Medien. Grund dafür war eine Massenschlägerei zwischen ein paar Gästen und mehreren Kellnern, die letztlich von der Polizei beendet werden musste. Was den Hintergrund dieses Vorfalls betrifft, gehen die Meinungen der Beteiligten auseinander. Hochgekommen ist die Causa durch ein hochemotionales Posting eines weiblichen Gastes, die den Kellnern des Schweizerhauses Körperverletzung und Rassismus vorwarf. Laut ihrer Darstellung hätten sich ihr Bruder und ihr Ehemann (ein farbiger US-Amerikaner) über eine zu fette Stelze beschwert, worauf mehrere Kellner begonnen hätten, ohne weiteren Grund die Gäste rassistisch zu beschimpfen und auf sie einzuschlagen.
Daraufhin war von Facebook über Twitter bis zu zahllosen Foren die Hölle los. Rassismusvorwürfe bei prominenten Gaststätten ziehen halt immer und wenn noch das N-Wort vorkommt, sind viele User Ankläger, Richter und Exekutor in einer Person. Das Sprichwort, dass man auch die andere Seite hören möge, das journalistische Credo „Check, Re-Check, double Check“ – unnützer Firlefanz in einer digitalen Dauererregungsgesellschaft. Doch klang erwartungsgemäß der Standpunkt der Betreiberfamilie Kolarik kurz darauf ein wenig anders. Laut Besitzer Karl Kolarik waren es nämlich die Gäste, die begonnen hatten, Kellner zu beschimpfen, einen Tisch umzustoßen und mit Gläsern und Tellern zu werfen, wobei auch zwei Kellner getroffen und verletzt worden wären. Erst dann hätten die Kellner zum Selbstschutz und zum Schutz anderer Gäste zugegriffen. Rassistisch beschimpft sei auch dabei niemand worden. Eine Darstellung, die auch von unabhängigen Zeugen an einem Nachbartisch bestätigt wird.
Juristischer Beistand
Der Schaden im Netz war trotzdem angerichtet. Seitens der Schweizerhaus-Eigentümer wehrt man sich allerdings jetzt juristisch. Ein prominenter Rechtsanwalt wurde eingeschaltet, um rechtliche Schritte wegen Rufschädigung zu unternehmen. Angeblich ließ daraufhin die betroffene Frau den Rassismusvorwurf schriftlich wieder fallen. Was ihr Bruder dementiert. Seine Schwester sei vom Anwalt unter Druck gesetzt worden, er halte an den Vorwürfen fest und werde sich an die US-Botschaft um Unterstützung wenden.
Wie immer die Causa vor Gericht ausgehen wird: Aus Sicht der Lokalbetreiber war die Einschaltung eines Anwaltes, der sich auf das Spiel mit den Medien versteht, wohl die einzig mögliche Reaktion. Und generell dürfte Rechtsanwalt mit Spezialgebiet Rufschädigung in sozialen Medien ein Boomberuf in den nächsten Jahren werden. Denn Foren, die einst als Entscheidungshilfe für andere Gäste/Touristen gedacht waren, verkommen immer mehr zu öffentlichen Prangern, wo Leute nahezu ohne Konsequenzen ihrem Frust Luft machen können. „In dem Lokal darf die FPÖ/AfD eine Parteiveranstaltung abhalten? Ich bekomme kein Dessert aufs Haus? Ich werde nicht in die Junior-Suite upgegradet? Das sollen sie büßen, denen schreibe ich eine Bewertung, die sich gewaschen hat!“ Objektiver Wahrheitsgehalt? Uninteressant. Nur wie ich mich fühle ist relevant. (Schlag nach bei diversen „Influencern“.) Dass solche Methoden geschäftsschädigend bis existenzbedrohend sein können? Pech gehabt oder sogar erwünscht. Doch die Branche wird langsam zurückschlagen. Gut so! (CK)