Nelson Müller: „Zwischen Genuss und Gewissen“
Der Talk mit Sternekoch, Unternehmer und Gastgeber Nelson Müller gehörte zu den meistbesuchten Programmpunkten des GreenSign Future Labs 2025 in Berlin. Im Gespräch mit Moderatorin Darlene Schwabroch gewährte Müller persönliche Einblicke in seinen Küchenalltag, seine Haltung zu nachhaltiger Gastronomie und die Herausforderungen, vor denen Köche und Betriebe heute stehen.
Zwischen Anekdoten, klaren Positionen und reflektierten Einschätzungen zeigte er, wie Genuss, Verantwortung und wirtschaftlicher Druck miteinander verwoben sind – und warum Veränderung in der Küche immer auch Veränderung im Denken bedeutet.
Nelson Müllers Perspektive auf Nachhaltigkeit
Für Nelson Müller beginnt Nachhaltigkeit mit Bewusstsein. „Vieles fängt mit Sensibilisierung an“, erklärte er, „mit dem Beschäftigen mit Dingen und Alternativen zu täglichen Gewohnheiten.“
Nachhaltigkeit sei für ihn weniger Trend als Lebenshaltung – geprägt durch seine Familie, in der Mülltrennung und Naturnähe selbstverständlich waren. „Wertschätzung der Natur und des eigenen Habitats ist nichts Neues – das wurde schon vor hunderten Jahren angesprochen.“
Ein Schlüsselerlebnis in seiner Ausbildung prägte ihn nachhaltig: Während eines Praktikums im Hotel Windrose auf Sylt wurde er für das Wegwerfen eines Blumenkohl-Strunks zurechtgewiesen. Küchenchef Holger Bodendorf wollte daraus Suppe kochen. „Da war früh klar: Man schmeißt nicht einfach alles weg“, erinnerte Müller. Dieses Prinzip verfolgt er bis heute – und nennt es augenzwinkernd ein „sinnvolles Ritual“.
Food Waste: Balance zwischen Effizienz und Erlebnis
Food Waste bleibt für ihn ein Dauerthema – in der Sterneküche ebenso wie in Brasserien. Gerade Buffets stellten Betriebe vor komplexe Aufgaben: ausreichend Angebot, aber möglichst wenig Überproduktion. „Es ist ein ständiger Kampf“, sagte er. Ein Lösungsansatz in seinen Restaurants: Gerichte wie „Fisch des Tages“ bewusst offen zu formulieren, um saisonal, preisbewusst und flexibel arbeiten zu können.
Besonders herausfordernd bleibe das Frühstück: „Das finde ich schwierig“, so Müller. Sein Team löse das unter anderem dadurch, dass Mitarbeitende nach dem Service frühstücken – eine einfache Maßnahme, die Überschüsse reduziert.
Regionalität und Saisonalität: Ein realistischer Blick
Vor der Regionalität kommt die Saisonalität. Die bestimmt, welche Produkte ich verwende.
Während Regionalität häufig im Fokus stehe, betonte Müller die Bedeutung der Saisonalität. Er arbeite oft mit lokalen Lieferanten und Einkaufsverbünden zusammen, um Qualität, Rückverfolgbarkeit und faire Preise zu gewährleisten.
Gleichzeitig plädierte er für Ehrlichkeit: Die Realität sei nicht schwarz-weiß. „Gerade im Winter ist das schwierig“, erklärte er, denn teilweise sei importierte Ware nachhaltiger als gelagerte heimische Produkte. Entscheidend sei das Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge und die Bereitschaft, saisonale Kompromisse einzugehen.
Pflanzenbasierte Ernährung: Chancen, Gewohnheiten und Grenzen
Die sogenannten Planetary Health Diet – also eine überwiegend pflanzenbasierte Ernährung – sieht Müller als wichtigen Baustein für die Zukunft. Doch er bleibt realistisch: „Wir sind da noch lange nicht.“ Traditionen und Erwartungen prägten weiterhin viele Küchen. Und wirtschaftlich sei es herausfordernd, als Pionier voranzugehen, wenn Gäste noch stark an Fleischgerichten hängen.
Dennoch: Die Nachfrage steigt. In seinen Restaurants habe es Phasen gegeben, in denen fast 50 Prozent der Menüs vegetarisch waren – abhängig davon, wie offensiv Angebote gestaltet wurden.
Der Ruf nach pflanzenbasierten Gerichten wird immer lauter – und die Menschen wollen damit auch entertained werden.
Tradition und Innovation: Kein Widerspruch
Für Müller liegt der Reiz in der Verbindung beider Welten: „Ich finde es witzig, Tradition und Neues zu kombinieren.“ Mit bekannten Geschmackserinnerungen zu spielen und sie pflanzlich umzusetzen, empfinde er als kreative Herausforderung.
Gleichzeitig warnte er vor zu strengen kulturellen Brüchen: „Tradition macht etwas mit den Menschen. Das verkennen wir oft.“ Veränderungen müssten mit Bedacht und Verständnis für Emotionen eingeführt werden.
Ist Nachhaltigkeit teurer? Ein differenzierter Blick
Auf die Frage, ob Nachhaltigkeit zwangsläufig höhere Kosten verursache, antwortete Müller differenziert. In Teilen sei der Aufwand – etwa bei der Umstellung auf Bio – höher, vor allem in der Großverbraucherbranche.
Aber er betonte auch: „Im Supermarkt ist Bio teilweise schon günstiger.“ Entscheidend seien Sourcing, gute Beziehungen und der Fokus auf Haltungsformen. Letztlich sei nachhaltiges Wirtschaften möglich – erfordere aber bewusste Entscheidungen und unternehmerischen Willen.
Vom Koch zum Gastgeber: Müllers Weg in die Hotellerie
Seit diesem Jahr ist Nelson Müller auch Hotelier. Der Schritt sei „schon lange logisch gewesen“, aber erst jetzt habe sich der richtige Ort gefunden. Das Boutiquehotel am Rande Kölns im Naturschutzgebiet biete ideale Bedingungen: überschaubare Größe, Veranstaltungsräume und ein starker F&B-Bereich.
Ich bin mit Leidenschaft Gastgeber – da fühle ich mich wohl, das ist mein Ding.
Die Kombination aus Kochkunst, Events und Gastfreundschaft ermögliche ihm mehr Selbstbestimmung und wirtschaftliche Stabilität. Zudem sei Vielfalt in der Wertschöpfungskette heute essenziell, um Gastronomie langfristig tragfähig zu halten.
Welche Verantwortung hat die Branche – und was braucht es für die Zukunft?
Auf die Frage aus dem Publikum, wie Gastronomie ihren Beitrag zur Planetary Health leisten könne, wurde Müller deutlich: „Vor dem Hintergrund der planetaren Gesundheit müssen wir das eigentlich tun. Die Zeichen sind alarmierend.“ Er geht davon aus, dass gesetzliche Vorgaben in Zukunft weiter verschärft werden – und dass Betriebe gefordert seien, ihre Verantwortung ernst zu nehmen.
Beim Thema Nachwuchs zeigte sich Müller optimistisch. Die größte Stärke der Branche sei die Gemeinschaft. Emotionalität und Erlebnisse seien weiterhin zentrale Trümpfe in der Hospitality. Flexibilität, Mut zu Veränderungen und die Bereitschaft, alte Muster zu hinterfragen, seien entscheidend, um junge Talente zu gewinnen.
Zusammenarbeit, Lobbyarbeit, Austausch – das braucht es, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
(SAHO)