„7 Prozent Mehrwertsteuer wären möglich gewesen“
Das Auslaufen der Umsatzsteuerreduzierung auf Speisen hat der Gastronomie zu Jahresbeginn einen weiteren Schlag versetzt. Dabei hätte die Erhöhung auf 19 Prozent kurzfristig noch abgewendet werden können – so lautet zumindest das Ergebnis einer neuen Analyse der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG).
Hintergrund ist, dass der Bund das Haushaltsjahr 2023 mit einem Plus von 6,3 Milliarden abgeschlossen hat und dieser Betrag den Haushaltsausschuss am 18. Januar 2024 außerplanmäßig zur Verfügung stand.
„Damit wären sieben Prozent auf Speisen auch in diesem Jahr möglich gewesen – und das trotz jüngstem Verfassungsgerichtsurteil. Leider hat die ‚Krawall’-Kommunikation aus einigen Branchenteilen im Dezember und Januar gegenüber der Ampel weiteres Porzellan verschlagen, sodass wir wieder nicht zum Zug kamen“, erklärt DZG-Vorstandssprecher Dr. Marcel Klinge.
„Wir müssen die eigenen Aktivitäten kritisch reflektieren und aus Fehlern lernen“
Für die künftige Lobbyarbeit sieht der ehemalige Bundestagsabgeordnete Verbesserungsbedarf bei Strategie, Mobilisierung und Tonalität: „Auch wenn es zunächst so aussieht, als hätte die Gastronomie am Ende einfach Pech gehabt, kommen auf den zweiten Blick eigene Fehler und spätes Handeln zum Vorschein, die einen Erfolg unnötig schwer gemacht haben.“
Vor dem Hintergrund, dass der Steuersatz auf Speisen Anfang 2024 wieder auf 19 Prozent anstieg, hat die Denkfabrik die Umsatzsteuerkampagne des vergangenen Jahres umfassend evaluiert und eine Reihe von Handlungsempfehlungen und Verbesserungsvorschlägen ausgearbeitet.
„Wenn der Hospitality schmerzhaft einige Milliarden Euro verloren gehen, sollten wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern müssen – wie in jedem Unternehmen – die eigenen Aktivitäten kritisch reflektieren und aus Fehlern lernen. Denn eines steht fest: Landwirte und Lufthansa haben in den vergangenen Wochen bewiesen, dass sie (mit unterschiedlichen Strategien) kurzfristig finanzrelevante Lobbyerfolge erzielen konnten, während die Gastronomie mal wieder mit leeren Händen dasteht“, sagt Klinge.
Ungünstige Ausgangsbedingungen für „Dauerentfristung“
In einem ersten Analyseschritt haben sich die DZG-Experten die Ausgangslage der Kampagne genauer angeschaut und kommen mit Blick auf den politischen und haushälterischen Gesamtrahmen zu dem Schluss, dass das Ziel, die Umsatzsteuer auf Speisen von einer temporären Krisenhilfe in eine dauerhafte Unterstützung der Gastronomie zu überführen, von Beginn an schwer zu erreichen war.
„Aus heutiger Sicht beziffern wir die Chancen, dieses Anliegen erfolgreich umzusetzen, auf unter zehn Prozent. Das heißt, dass es im vergangenen Jahr de facto kein realistisches Szenario gab, eine dauerhafte Reduzierung umzusetzen, solange die Ampel-Parteien das Thema intern nicht höher priorisieren. Warum haben wir dann aber alles auf diese eine Karte gesetzt?“, fragt der Denkfabrik-Sprecher.
Der immer wieder „leise“ diskutierte Alternativvorschlag, zehn Prozent auf alle Speisen, hätte aus DZG-Sicht ab Sommer 2023 eine neue positive Dynamik entfachen und der Ampel branchenseitig ein konstruktives Entgegenkommen signalisieren können. „‚Alles-oder-Nichts-Strategien sind in der Politik selten eine gute Idee. Außerdem liegt der – gerne angeführte – Umsatzsteuersatz auf Speisen in der EU bei über elf Prozent im Schnitt. Da auch Politiker rechnen können und diese Daten bekannt waren, hat uns die Maximalforderung von dauerhaft sieben Prozent argumentativ immer wieder in die Defensive gebracht“, erläutert Dr. Marcel Klinge.
Zu schwache Mobilisierung auf Bundesebene
Laut Analyse kränkelte die Umsatzsteuer-Kampagne auch an einer schlechten Mobilisierung auf Bundesebene. „Positiv war, dass insbesondere die Dehoga-Landesverbände kontinuierlichen Druck auf die Abgeordneten in den jeweiligen Wahlkreisen ausgeübt und damit ein grundsätzliches Verständnis und weitgehende Zustimmung für eine mögliche Verlängerung der Umsatzsteuer-Reduzierung erreicht haben", sagt Dr. Marcel Klinge.
Weiter bilanziert er: "Auch gelang es, viele Städte und Kommunen sowie einige Landesregierungen für unser Thema zu aktivieren. Im politischen Berlin und in den sozialen Medien gelang das hingegen nur unzureichend. Wenn zu wichtigen Demonstrationen gerade einmal 150 Menschen kommen, sollte uns das alle zum Nachdenken bringen.“
Erschwerend war es offenbar nicht möglich, frühzeitig ein breites Bündnis der im Lobbyregister registrierten 82 Gastwelt-Organisationen und 29 Gastwelt-Unternehmen zu schmieden. Eine solche „Koalition“ sei aber zwingend notwendig, um ausreichend politischen Handlungsdruck im Bund zu erzeugen, betonen die Autoren des Papiers.
Nächste Chance auf Umsetzung in 2026
Wie geht es nun weiter? Klinge formuliert es so: „Der nächste realistische Anlauf, Mehrheiten für eine (dauerhafte) Umsatzsteuersenkung auf Speisen zu erhalten, ist aus unserer Sicht Januar 2026, also nach der nächsten regulären Bundestagswahl. Dazu ist es notwendig, nun ausreichend finanzielle wie organisatorische Ressourcen in einer eigenständigen Kampagnenorganisation zu bündeln und dieses Projekt im zweiten Quartal 2024 zu starten. In einem ersten Schritt müssen wir gezielt daran arbeiten, das Umsatzsteuer-Thema endlich in die Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD und FDP zu bringen.“
Der Politikexperte plädiert außerdem für einen anderen Umgangston: „Mit der jüngsten Krawall-Kommunikation erreichen wir nichts, auch wenn es manchmal schwierig fällt, ruhig zu bleiben. Die Regierung ist nicht unser Gegner, sondern ein Verbündeter, den wir überzeugen und von unseren Anliegen begeistern müssen. Die Gastronomie braucht für 2026 daher jetzt einen neuen Plan, den Schulterschluss aller relevanten Akteure auf Augenhöhe und modernere Kampagnenstrukturen“, betont Klinge.
Die Evaluierung der Umsatzsteuerkampagne 2023 (PDF-Datei) erhält man kostenfrei über einen Online-Download.
(Denkfabrik Zukunft der Gastwelt/SAKL)