Kommt der „Jahreswechsel-Lockdown“?
Bayern und Sachsen machen Druck für bundesweit noch schärfere Auflagen, um die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. Für dringend notwendig halten dies auch Ärztevertreter, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Das Bund und Länder eine gemeinsame Strategie erarbeiten, dazu kommt es frühestens am Sonntag. Davor, so Ministerpräsident Markus Söder bei Markus Lanz, sei die Kanzlerin wegen Terminen beim EU-Gipfel nicht verfügbar.
„Eine bessere Zeit wird man nicht mehr finden“
Immer mehr Länder sprechen sich jedoch bereits jetzt für einen harten Lockdown aus. Söder etwa würden einen „kompletten Lockdown“ von Weihnachten bis zum 10. Januar begrüßen. „Einfach mal alles runterfahren von den Geschäften bis hin zu den Betriebsferien in vielen Unternehmen. Wenn alle mitmachen, wäre das super. Dann hätten wir knapp drei Wochen, in denen wir einfach Kontakte reduzieren können. Eine bessere Zeit als diese Zeit zwischen Weihnachten und 10. Januar wird man im ganzen Jahr nicht mehr finden“, sagte der CSU-Chef.
„Wir gehen unseren sächsischen Weg“
Auch Sachsens Ministerpräsident Kretschmer äußerte die Hoffnung, mit den anderen Ländern zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen, verwies aber auf die schon im Freistaat beschlossenen Maßnahmen. „Wir haben uns für unseren sächsischen Weg jetzt entschieden und werden ihn mit aller Konsequenz gehen“, erklärte Kretschmer. Im Freistaat sollen von kommendem Montag an Schulen, Kitas, Horte und viele Geschäfte geschlossen werden. Geöffnet bleiben sollen Lebensmittelgeschäfte und Läden für den Grundbedarf. Handel, Schulen und Kitas offenzuhalten –„das wird nicht diese Wirkung bringen“, sagte Kretschmer.
Das Bundesland hat sich zum bundesweit größten Hotspot der Pandemie entwickelt. In Bayern, das im Bundesländer-Vergleich ebenfalls überdurchschnittlich hohe Infektionszahlen aufweist, gelten schon seit 9. Dezember 2020 strengere Regeln wie Ausgangsbeschränkungen, Alkoholverbot in Innenstädten und Ausgangssperren in Hotspots.
„Wir erleben eine Übersterblichkeit“
Doch die Zahlen der täglichen Neuinfektionen ist bundesweit hoch, die Zahl der Todesfälle hatte am Mittwoch mit 590 einen neuen Höchststand erreicht. In den vergangenen Wochen ist auch die Zahl der Corona-Intensivpatienten deutlich gestiegen.
Vor diesem Hintergrund fordert der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, den von der Wissenschaftsakademie Leopoldina empfohlenen harten Lockdown. Gaß argumentierte ähnlich wie Söder: „Die große Chance eines harten Lockdowns über drei Wochen ist es, dass die Infizierten nicht mehr mit Gesunden in Kontakt treten. Dann hat das Virus keine Chance, sich zu verbreiten“, sagte Gaß der Passauer Neuen Presse. Als „besorgniserregend hoch“ bezeichnete er die hohe Zahl von Corona-Toten. „Es sterben mehr Menschen als normal und wir erleben eine Übersterblichkeit. Das sind verlorene Lebensjahre von vielen Menschen und vor allem von Älteren.“
Auch die Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund, Susanne Johna, betonte: „Das ärztliche und pflegerische Personal arbeitet am Anschlag.“ Die verschärften Maßnahmen in einigen Regionen seien zweifellos mit Härten verbunden, aber ohne vernünftige Alternative, sagte Johna der Rheinischen Post. Baden-Württembergs Innenminister und CDU-Bundesvize Thomas Strobl schloss: „Es geht um Menschenleben und es geht um die Gesundheit vieler Menschen.“ Jeder Tag zähle, fügte er hinzu.
„Bund und Länder sollen Lockerungen nach dem 24. Dezember zurücknehmen“
Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, verlangte schärfere Corona-Regeln vom ersten Weihnachtsfeiertag an. „Bund und Länder sollten die bisher vereinbarten Lockerungen nach dem 24. Dezember wieder zurücknehmen. Für die Zeit vom 25. Dezember bis 10. Januar brauchen wir härtere Maßnahmen“, sagte Landsberg. Der Einzelhandel solle bis Weihnachten geöffnet bleiben, so Landsberg weiter. Schließungen vor den Feiertagen halte er nicht für praktikabel, auch wäre der wirtschaftliche Schaden immens. «“Das würde in der Bevölkerung auch nicht auf Akzeptanz stoßen, die wir aber für den Erfolg der Maßnahmen dringend benötigen.“
„Die Zeit nutzen, diese gefährliche Entwicklung zu stoppen“
Selbst in Schleswig-Holstein, wo die Infektionszahlen im bundesweiten Vergleich noch niedrig sind, soll der Corona-Kurs verschärft werden. Es sei notwendig, „dass wir spätestens ab Weihnachten in einen harten Lockdown gehen – um die Zeit über den Jahreswechsel zu nutzen, diese gefährliche Entwicklung in Deutschland zu stoppen“, sagte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) Mittwochabend in Kiel. Unter anderem werde es in der Öffentlichkeit künftig keinen Alkoholausschank geben, sagte Günther. Weitere konkrete Maßnahmen benannte er nicht. Die Situation sei jedoch dramatisch.
In einer Aktuellen Stunde des Landtags plädierte auch Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben für einen klaren Lockdown spätestens nach Weihnachten. SPD-Fraktionschef Ralf Stegner befürwortete eine bundesweite konsequente „Inzidenzampel“. Sie soll anzeigen, ab wie vielen Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen welche konkreten Maßnahmen greifen. Ein harter Lockdown wäre für Stegner nur die zweitbeste Lösung. Für die Akzeptanz von Maßnahmen sei es wichtig, dass die Menschen diese verstehen, sagte er. Die Politik müsse gut begründen, wenn sie Bürgerrechte einschränkt.
„Ich glaube, dass wir um weitere Maßnahmen nicht herumkommen werden“, sagte Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP). „Wir können in diesem Modus nicht die nächsten Monate überstehen.“
„Brauchen Lockdown, um uns 2021 mehr Normalität zu erarbeiten“
Auch in Nordrheim-Westfalen erwägt härtere Maßnahmen: Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) möchte angesichts hoher Corona-Infektionszahlen einschneidende Kontaktbeschränkungen nach den Feiertagen. „Wir brauchen nach Weihnachten einen echten Jahreswechsel-Lockdown, um uns für 2021 wieder eine Perspektive hin zu mehr Normalität zu erarbeiten“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
„Von Weihnachten bis zum Ende der Ferien im neuen Jahr kann das Land am ehesten komplett heruntergefahren und so die Ausbreitung der Pandemie effektiv gestoppt werden“, warb Laschet für seinen Vorschlag. „Zugleich halten wir in diesen Wochen die Schäden für Bildungschancen von Kindern sowie für Wirtschaft und Arbeitsplätze so gering wie in keiner anderen Zeit des Jahres.“
(dpa/NZ)