Barrierefreiheit

Nach Kundenwunsch: Restaurant führt Speisekarte in Blindenschrift ein

Mann liest Text in Blindenschrift
Der Gasthof „Zum Anker“ in Ingolstadt bietet eine Speisekarte in Blindenschrift an. (Foto: © serbbgd / fotolia)
Ein Lokal in Ingolstadt hat auf Wunsch einer blinden Stammkundin eine Speisekarte in Brailleschrift eingeführt. Ein Erfolg für die Blinde – aber auch eine Ausnahme.
Donnerstag, 13.04.2017, 10:50 Uhr, Autor: Markus Jergler

Im Gasthof „Zum Anker“ sitzt Wirt Sebastian Schmailzl vor weißen DIN-A4-Papieren mit winzigen Punkten. Für die meisten Gäste ist die neue Speisekarte nur ein unscheinbares Ringbuch, für Blinde bedeutet sie Selbstständigkeit. Seit ein paar Wochen können sie mit den Fingerspitzen nach der „Entenbrust an Orangen-Cassis-Sauce“ oder dem Matjesfilet „Hausfrauen Art“ suchen.

Restaurant reagiert auf Wunsch von Stammkundin
Isolde Eichinger gab zur Einführung der Blindenkarte den Anstoß. Als Blinde war sie darauf angewiesen, dass ihr jemand die Gerichte vorliest. „Ich hab‘ das dick gehabt, dazusitzen wie ein Depp“, sagt die 58-Jährige. Die Bedienung war oft im Stress und hatte keine Zeit, die ganze Karte vorzulesen. „Da werd‘ ich grantig. Ich will auch wissen, welche Beilagen es zum Fleisch gibt.“ Mit einer Freundin kam sie auf die Idee, eine Speisekarte in Brailleschrift zu drucken.

Doch kaum zu glauben: der Vorschlag stieß selbst bei einigen Stammtischmitgliedern des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbunds (BBSB) auf Widerstand. Zu teuer im Druck und nicht alle Blinden könnten Brailleschrift lesen, so die Gegenargumentation. Da kamen dann so blöde Vorschläge wie bloß die Fleischgerichte zu übersetzen“, regt sich Eichinger auf. „So ein Schmarrn! Auch wenn ich blind bin, habe ich das Recht, alles zu erfahren.“ Also fragten die Frauen beim Wirtshaus nach. „Nachdem der Blindenbund wirklich schon seit zehn Jahren zu uns ins Haus kommt, haben wir gesagt, das können wir gerne machen“, sagt Wirt Schmailzl. Eichinger ist begeistert: „Seit ich die Speisekarte lesen kann, bekomm‘ ich ganz andere Gerichte.“

In Deutschland noch die Ausnahme
Braille-Speisekarte sind in Deutschland eher die Ausnahme. Wie viele Lokale barrierefreie Angebote für Blinde und Sehbehinderte anbieten, wissen weder die Blindenverbände noch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA. Es steht nicht einmal fest, wie groß die Zielgruppe ist. Laut Deutschem Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) reichen die Schätzungen von 650.000 bis zu 1,2 Millionen Blinden und Sehbehinderte deutschlandweit.

„Wir sind eine ziemlich kleine Gruppe. Deswegen erwarten wir auch keine Braille-Speisekarte“, sagt Steffen Erzgraber, Geschäftsführer beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbunds (BBSB). „Es kann auch nicht jede Servicekraft im Umgang mit Blinden geschult sein.“ Entscheidend sei, dass die Bedienungen aufgeschlossen seien. „Am besten ist es einfach, wenn man blinde Gäste direkt anspricht, welche Hilfe sie brauchen.“ Im Gasthof „Zum Anker“ beispielsweise informieren die Servicekräfte über die Tageskarte oder beschreiben auch die Tischdekoration.

Das „Aura-Hotel“ in Saulgrub bei Garmisch-Partenkirchen hat sich sogar auf blinde und sehbehinderte Gäste spezialisiert: Besucher werden dort an den Tisch geführt. „Die Gerichte werden speziell auf dem Teller angerichtet, das Fleisch ist beispielsweise immer unten auf sechs Uhr“, sagt Sabine Leistle vom „Aura-Hotel“.

Diesen Service kann selbstverständlich nicht jedes Hotel oder Lokal bieten. Eine realistische Orientierung bietet die sogenannte „Kategorie C“, die auf eine Vereinbarung zwischen Behinderten-, Hotel- und Gastronomieverbänden aus dem Jahr 2005 zurückgeht: Die Checkliste reicht von der richtigen Eingangstür bis zur hellen Beleuchtung. (dpa/MJ)

Zurück zur Startseite

Weitere Themen

Plenarsaal bei der Debatte Steueraenderungsgesetz 2025 bei der 47. Sitzung des Deutschen Bundestag in Berlin, 04.12.2025
Steuerentlastungen
Steuerentlastungen

7-Prozent-Mehrwertsteuer passiert Bundestag

Eine weitere Hürde ist genommen: Der Bundestag hat Steuerentlastungen für Gastronomen und Pendler beschlossen – darunter die dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen in Restaurants. Doch ob ein neues Gesetz mit den Steuerentlastungen tatsächlich kommt, ist noch offen.
Auszubildende bei der Schulung zur Wildverarbeitung
Schulung
Schulung

Lerch Genusswelten: Azubis lernen Wildverarbeitung mit Respekt vor dem Produkt

Ein außergewöhnlicher Praxistag für die Auszubildenden der Lerch Genusswelten: Bei einer speziellen Schulung zur Wildverarbeitung lernten die jungen Talente unter Anleitung den respektvollen Umgang mit dem gesamten Tier.
Kellnerin reserviert den Tisch
Umfrage
Umfrage

No-Shows belasten die Gastronomie: Viele Gäste reservieren und kommen nicht

Immer mehr Restaurants leiden unter sogenannten No-Shows: Gäste reservieren – und erscheinen dann nicht. Für viele Betriebe bedeutet das Umsatzverluste und eine zusätzliche Belastung fürs Team. Dennoch scheuen Gastronomen finanzielle Gegenmaßnahmen.
the dune
Restauranteröffnung
Restauranteröffnung

„The dune“ hat im neuen The Florentin eröffnet

Seit Anfang Dezember hat das The Florentin by Althoff Collection in der ehemaligen Villa Kennedy geöffnet. Im Mittelpunkt des neuen Hauses steht „the dune“ – das Destination Restaurant unter der Leitung von Niclas Nußbaumer.
Gruppe beim Essen
Analyse
Analyse

Gastronomie-Trends für 2026: Essen gehen wird bewusster und emotionaler

Für mehr als die Hälfte der Deutschen wird Essen gehen eher ein besonderes Erlebnis als eine regelmäßige Gewohnheit – ein Trend, der die Branche 2026 prägen wird.
Starbucks
Streik
Streik

Starbucks zahlt 35 Millionen Dollar an New Yorker Beschäftigte

Landesweit streiken Beschäftigte der Kaffeehauskette in den USA. Nach Vorwürfen zu Verstößen gegen Arbeitszeitgesetze einigt sich der Konzern nun auf eine Entschädigung in New York.
Kemal Üres
Appell
Appell

Kemal Üres: „Die Weihnachtszeit ist für viele Gastronomen überlebenswichtig!“

Die Weihnachtszeit bricht an – und Deutschlands Gastronomieexperte warnt vor Umsatzeinbußen in der Gastronomie. Während die Menschen vermehrt auf Christkindlsmärkte ausweichen, geraten viele Restaurants wirtschaftlich unter Druck. Kemal Üres appelliert daher eindringlich an die Gäste, die lokale Gastronomie zu unterstützen, und erklärt, wie Gastronomen gegensteuern können.
Karamellkeks-Dessert Biscoff
Karamellkeks-Trend
Karamellkeks-Trend

Warum Karamellkekse so gefragt sind

Supersüß und angesagt: das Trendprodukt Karamellkeks. In Cafés und Restaurants wird die knusprige Nascherei oft einzeln verpackt als korrespondierender Snack zum Kaffee serviert. Sein Geschmack, der viele an Spekulatius erinnert, hat in den letzten Jahren jedoch eine erstaunliche Karriere hingelegt.
Alexander Kumptner und Frank Rosin
Gastronomie-Krise
Gastronomie-Krise

TV-Köche warnen: „Wirte können nicht mehr davon leben“

Die Fernsehköche Frank Rosin und Alexander Kumptner machen sich große Sorgen um die Zukunft der Gastronomie. Hohe Kosten und sinkende Umsätze prägen ihrer Einschätzung nach die Branche.