Kulinarische Kreativität auf nordische Art
In ebenso wunderbarer Lage bietet das NOA an der Tallinner Bucht eine Terrasse für
entspanntes Bib-Gourmand-Dining.Ein heiter und edel wirkender Gastraum birgt den NOA Chef’s Table. Was gutes Design ausmacht, zeigt sich nicht nur in Helsinki! Chefkoch Tönis Siigur ist Protegé von Matthias Diether. So steht im Menü zwischen Languste mit Zitronengras und Maräne mit Muschel-Beurre-Blanc ein Brotgang mit Kojibutter, Molke und Tagetesblüte. Denn: Brot ist in Estland ein großes Thema. Es geht um reines Roggenbrot, tatsächlich „leib“ genannt, und derart kompakt, dass es als Mordwaffe dienen könnte. Der Teig reift je nach gewünschter Säure bis zu 24 Stunden. Gewürzt wird nach Familienrezept mit Kümmel oder Fenchel, mit Malz, oft auch mit Kakaopulver.
Früher buken Familien ihr Brot im dorfeigenen Backhaus, das zum Schutz vor Ungeziefer auf Stelzen stand. Dass die Sowjets diese Backhäuser während der Besatzung zuschlossen, ist kein Wunder. Es hieß, in dieser erhöhten Position könne man feindliche westliche Propaganda hören. Mit einer ähnlichen Begründung, nämlich Fluchtgefahr, schlossen sie für Einheimische auch den Zugang zu den Stränden der Tallinner Bucht, wo sich heute Tallinns Jeunesse Dorée tummelt. Derlei Schikanen begründeten ein resolutes Misstrauen gegenüber dem großen Nachbarn – ein weiterer Faktor, der Helsinki und Tallinn eint.
Die Leidenschaft fürs große Grüne
Finnen und Esten sind schon immer begeisterte Waldläufer gewesen. In beiden Ländern gilt das Jedermannsrecht: Personen dürfen in der Natur Essbares sammeln, ohne Grundstückseigentümer dafür um Erlaubnis zu bitten. 70 Prozent der Stadtfläche Helsinkis sind sowieso grün. Auch das ist ein Grund dafür, dass Helsinki in diesem Frühjahr die begehrte Auszeichnung als weltweit nachhaltigste Reisedestination verliehen bekam.
Helsinki ist übrigens die erste Stadt mit mehr als einer halben Million Einwohnern, die dieses Zertifkat erhalten hat. Ganz nebenbei bemerkt: Das war kein Zufall, sondern saubere skandinavische Planung. In der Helsinki City Strategy verständigten sich die Stadtoberen bereits im Jahr 2021 auf dieses Ziel. Auch die meisten Hotels sind umwelttechnisch zertifiziert, darunter das frisch renovierte und wunderschöne Grand Hotel Hansa mitten in der Stadt.
KERNELEMENTE DER ESTNISCHEN KÜCHE SIND BROT, FLEISCH, FISCH UND ALLES, WAS MAN IM WALD SAMMELN KANN.
Ähnlich grün geht es in Estland zu. Gut gepflegte Wanderwege führen durch die Hochmoore, nicht weit von Tallinn entfernt liegt mit dem Jägala der größte natürliche Wasserfall des Landes. Im Nationalpark Laheema kann man Vögel beobachten und alte Fischerdörfer besichtigen. Im Naturschutzgebiet Maidla liegt das Restaurant Soo, untergebracht in den stimmungsvoll restaurierten Gesindehäusern des Herrenhauses Maidla. Auch hier wurde ein Grüner Stern vergeben. Die Teller sehen hier aus wie gemalt – ist ja auch eine Frau am Werk.
Karoliina Jaakkola garniert gern mit Pülverchen und Puder aus zermahlenen Gemüseresten oder auch mit Knusper, der an handgeklöppelte Spitze erinnert. Kein Wunder, dass sie in ihrer Heimat Finnland schon Nachwuchsköchin des Jahres war. Butterkonfierter Kabeljau mit Hibiskus-Kaviar, Milchschokolade mit Miso-Ganache oder feine Crème Ninon – mit sympathischem Augenzwinkern in einer Erbsensuppenkonservenbüchse serviert – sind überraschende Momente für die maximal zehn Gäste, die hier abends einkehren und meist auch gerne übernachten.
Der Kräuterflüsterer, Sami Tallberg, Koch und Kochbuchautor
Er hat sich auf Wildkräuter spezialisiert. Auf Exkursionen in und um Helsinki zeigt er Laien und Profiköchen, was man wo findet, was man keinesfalls essen sollte und was sich aus welchen Kräutern denn so alles machen lässt.
(Exkursionen auf Englisch unter sami@samitellberg.com und auf Instagramm unter @ateljesamitallberg).
Herr Tallberg, die nordischen Länder werden kulinarisch gerne in einen Topf geworfen. Ist da was dran?
Naja, wir haben schon einiges gemeinsam, nämlich unsere berühmten acht Jahreszeiten, die große Bandbreite an wild wachsenden Pflanzen und Pilzen, die ja jeder sammeln darf, und dazu noch Fische und Wild.
Was macht Helsinki als Fooddestination so besonders?
Helsinki ist für alle, die gerne in der Natur auf Essenssuche gehen, einfach das Paradies. Und gleichzeitig ist das Stadtleben supertrendy. Eine bessere Kombi gibt’s nicht, denke ich.
Viele denken bei finnischer Küche an Beeren, Piroggen und Hering. Ihre Lieblinge?
Wir haben hier über 120 essbare Wildpflanzen und 80 essbare Pilze. Ich liebe natürlich auch alles, was aus den Seen kommt, neben Zander, Hecht und Forelle auch Maräne, Quappe sowie jeglichen Fischrogen und Leber. Wir haben Wildgeflügel in großer Bandbreite, etwa Rebhuhn, Schneehuhn, Taube und Stockente, dazu Wild und Elche.
Ein Forager wie Sie, was macht der denn während des langen Winters?
Ganz ehrlich: Diese Zeit ist für die Einkehr gedacht, das letzte Jahr überdenken, auf Ideen kommen und so die Saat für Neues pflanzen.