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Die neue Geselligkeit

von Sebastian Bütow
Freitag, 02.06.2017
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Die Wahl-Wienerinnen Alice Katter und Dana Zavidei sind begeisterte »Foodies«. Sie lieben Avocados und Mimosas (Cocktail aus Champagner und Orangensaft), den Brunch-Drink schlechthin. Gelangweilt von der eintönigen Brunch-Szene, beschlossen die beiden, etwas mehr Vielfältigkeit und Internationalität mit nach Wien zu bringen – und gründeten 2016 den »Brunch Club Vienna«. Mit riesigem Erfolg.

Der »Brunch Club« tourt durch die Stadt

Die beiden sind keine Gastronomen, besitzen kein Lokal. Egal! Ihr Club tourt als Pop-up-Event durch Österreichs Hauptstadt. Mal wird im Eisladen »Schelato« gebruncht, im Coffeeshop »Jonas Reindl« oder anderswo, aber immer unter dem Dach ihres Labels. Dem Eiscafé, das im Winter geschlossen hat, bescherte der »Brunch Club« eine Spitzen-Auslastung in einer sonst toten Zeit. Längst haben die »Brunchbabes«, wie sie sich nennen, eine »Vienna Brunch Map« auf den Markt gebracht, das ist ein Guide »mit den besten und fotogensten Brunch-Spots in Wien«, so Katter. »Damit kann die Community die Zeit bis zum nächsten Club-Termin überbrücken und weiß genau, wann wieder Mimosa geschlürft wird.« Die Fangemeinde wächst und wächst.

Teller mit Speisen
Foto: Victoria Koller

Junge Gastronomen und Locations reagieren aufgeschlossen

Es sei nicht immer leicht, eine Location für den stets sonntäglichen Brunch zu finden, »viele Betreiber sehen das am Anfang kritisch«, so Katter. »Die müssen ihr Lokal quasi an Fremde übergeben.« Aber: »Es gibt auch junge Unternehmer, die ihr Lokal noch nicht so lange haben, von unserem Konzept begeistert sind und einfach sagen: ›Coole Sache, ich vertraue euch meinen Laden einfach mal an.‹«

Katter und Zavidei, hauptberuflich selbstständig als Social-Media- und Community-Strategin bzw. Schmuckdesignerin, haben Wien gewaltig »aufgebruncht«. Darauf einen Mimosa – denken sich wohl auch die Wirte, die dem »Vienna Brunch Club« abwechselnd eine Heimat geben.

Travestie- und Kabarett-Shows beim »Unterwirt«

Auch in kleineren Orten boomt die Geselligkeit. Das beschauliche Örtchen Türkenfeld im Westen von München zählt gerade einmal 3.780 Einwohner, das schnuckelige Rathaus ließen einst die Fugger erbauen. Eine weitere Attraktion ist der Gasthof »Zum Unterwirt«. Nicht nur wegen seiner – mehrfach ausgezeichneten – gutbürgerlichen Küche und der hauseigenen Brauerei. Josef Hartl jr. lockt Gäste auch mit einem breit gefächerten Entertainment-Angebot – sozusagen zum Kulturstammtisch.

Mal geben sich Gerda Gans und Sushi Glas als »Ladylords & Company« die Ehre – eine Travestie-Show. Oder Martin Frank mit seinem bayrischen Solokabarett »Alles ein bisschen anders – vom Land in d’Stadt«. Auch Andreas Hofmeir, der den renommierten Musikpreis Echo gewann, gastiert hier mit seinem Tuba-Kabarett – sehr zur Freude der »Unterwirt«-Gäste, die sich in großen Gruppen regelmäßig einfinden.

Auch Kultur fördert die Geselligkeit

Insbesondere bei den Kabaretts hat der ­Gastronom ein Stammgast-Publikum aufgebaut. »Die bekommen einen Newsletter und wissen dadurch immer, was bei uns geboten wird. Die Stammgäste dürfen auch als Erste zuschlagen bei den Eintrittskarten. Unsere Veranstaltungen sind immer bombastisch gebucht«, freut sich Josef Hartl jr.

Kochkurs-Community in Hart­hausen

Manch ein Gast möchte nicht nur unterhalten oder bedient werden – er möchte auch selbst aktiv sein. Zum Beispiel in der Küche: Fans der kulinarischen Kreationen des Hotel & Restaurant »Forstwirt« in ­Harthausen bekommen die Gelegenheit, Köche und Küche genauestens kennenzulernen. »Sonntags hat unser Restaurant Ruhetag. An diesem Tag finden dann unsere Kochkurse statt, weil wir uns dann ausbreiten und die ganze Küche nutzen können«, erklärt »Forstwirt«-Managerin Melanie Flach.

Die Kurse haben immer ein bestimmtes Thema, je nach Saison. Am 2. Juli geht es zum Beispiel ums Grillen. Nicht nur darum, wie man ein saftiges Stück Fleisch auf den Grill legt. Es wird außerdem demonstriert, wie man das Grillen als Event zelebrieren kann – mit den passenden Salaten, Dips und vielem mehr. »Unser Geschäftsführer und Küchenchef Lukas Zellermayr und sein Souschef Daniel Hörl geben den Teilnehmern auch gerne Tipps zum Einkaufen und Kochen zu Hause«, so Melanie Flach.

Stammgäste, die immer wieder die Kurse buchen

Es wird gekocht und gelacht. »Und abends isst man dann das gemeinsam zubereitete Essen und genießt die passende Weinbegleitung. Das Ende ist zeitlich immer offen, denn je geselliger und gemütlicher man zusammensitzt, desto später wird der Abend.« Längst habe sich ein Stamm aus Teilnehmern gebildet, die immer wieder mitmachen.

»Wir haben rund 80 Prozent Stammgäste. Sobald der Kalender mit unseren neuen Events draußen ist, kommt eine Flut von Rückmeldungen. Da die Teilnehmerzahl begrenzt ist, sind die Plätze heiß begehrt.« Die Teilnahmekosten liegen bei rund 130 Euro. »Der Profit steht in diesem Fall ­jedoch ganz weit hinten an«, so Flach. »Wer nämlich Freude bei unseren Kochkursen hat, der lockt bestimmt auch den einen oder anderen neuen Gast in unser Restaurant.«

Kochkurse in der Küche
Foto: Hotel Restaurant Forstwirt

»Mit den Kochkursen binden wir Gäste an unser Haus«

Der Sternekoch Peter Offenhäuser gründete seinen »Kochclub« schon vor 20 Jahren. Der Kochschul-Pionier kommt viel herum und kennt viele Gastronomen. Er ist überzeugt, dass viele Lokalbetreiber schlichtweg zu wenig tun, um neue Geselligkeiten in ihren Locations zu fördern. »Kürzlich bat mich ein Gastronom in Hessen um meinen Rat. Ich empfahl ihm, seine in die Jahre gekommene Kegelbahn gegen eine moderne Küche auszutauschen und daraus eine Kochschule zu machen.«

»Man könnte viele Restaurants retten mit neuen Ideen«

Leider scheuen einige Gastronomen den berühmten Blick über den Tellerrand, um das Potenzial ihres Betriebes voll auszuschöpfen, ist Offenhäuser überzeugt. »Ich glaube, man könnte ganz, ganz viele Restaurants retten, indem man mit einer frischen Idee neue Zielgruppen anlockt.«

Das Wiener Café »Sneak In« ist hierfür ein prima Beispiel: Es wirbt nicht nur mit üppigen Frühstücksbüfetts, es zieht auch Modefans an, im doppelten Sinne. Wie der Name vermuten lässt, kommen hier Freunde angesagter Edel-Turnschuhe und sportlich-urbaner Kleidung auf ihre Kosten. Praktischerweise können sich die Sneaker-Enthusiasten – und von denen gibt es in Städten wie Wien eine Menge – beim Kaffeetrinken gleich mal eben mit einem neuen Modell ausstatten.

Das »Wirtshaussingen« erlebt eine Renaissance

Jeder kennt das Bild, wenn in einem Café die Augen aller Gäste nur auf ihre Handy- oder Laptop-Bildschirme gerichtet sind, keiner mit dem anderen spricht. Willkommen im 21. Jahrhundert – die Leute »connecten« sich lieber mit der digitalen Welt, als sich mit den real existierenden Menschen neben ihnen zu unterhalten. Doch immer häufiger regt sich Widerstand gegen die »Smartphone-Zombies« …

In fränkischen Wirtshäusern blüht z. B. ein alter Brauch wieder auf, bei dem Handy und Co. nichts zu suchen haben. Wie anno dazumal wird wieder gesungen. Jung und Alt treffen sich beim Wirt und stimmen, begleitet von Gitarre, Tuba, Akkordeon oder anderen Instrumenten, gemeinsam Volkslieder, Schlager und Evergreens, sogar aktuelle Hits an. »Wirts­haussingen geht wieder zurück zum Ursprung des Beisammenseins«, freut sich Markus Franz, Geschäftsführer von Frankenwald Tourismus, über die gelebte Brauchtumspflege.

Beim »Frankenlied« sind die Gäste sofort im Vollgasmodus

Michael Wolf aus Nordhalben organisiert Wirtshaussingen in seiner Region. »Das erste Lied ist bei uns immer das ›Frankenlied‹. Und da sind wirklich alle vom ersten Moment an im Vollgasmodus. Die Leute wissen, dass text- und melodiekundige Musikanten dabei sind, die den Ton angeben. Meistens werden auch Textblätter ausgegeben, damit sind die Textunsicherheiten bereinigt. Es ist ein Publikum aller Alters­klassen, die Stimmung kann keine Partyband toppen.«

Special-Interest-Stammtische basieren auf Social-Media-Gruppen

Und was ist eigentlich aus dem klassischen Stammtisch geworden? In einer Gaststätte, mit dem typischen XXL-Aschenbecher auf dem Tisch und den immer gleichen Teilnehmern? Der erscheint einem im Jahr 2017 so präsent wie Dinosaurier. Weniger geworden sind Stammtische aber ganz und gar nicht – das Gegenteil ist der Fall.

Social Media bescheren der Gastro-Branche neue Stammtische

Ob sich in Hamburg alle zwei Wochen der »BMW Motorradstammtisch« trifft, in Aschaffenburg oder Bremen der »Metal-Stammtisch« für die Freunde der ganz harten Klänge oder ein Hanseaten-Stammtisch in München – immer öfter entstehen gesellige Runden mit Gästen, die eine gemeinsame Leidenschaft oder Herkunft vereint. Meist treffen sich die Gruppen, nachdem sie sich im Internet kennengelernt haben.

»Stammtische hat es schon immer gegeben«, sagt Trendexperte Pierre Nierhaus. »Durch Social Media haben sich neue Gruppen gebildet, die sich außerhalb der virtuellen Welt treffen. So gesehen, hat die Digitalisierung der Gastronomie nicht geschadet. Spätestens seit die Internet-­Generation zu einer Mobile-Generation wurde, hat diese Entwicklung der Branche eher genutzt.«Durch Social Media haben sich Gruppen gebildet, die sich außerhalb der virtuellen Welt treffen Pierre Nierhaus, Trendscout

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Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.

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